Das neue Buch zur Vermögensverwaltung für UHNW

Brooke Harrington: Capital without Borders

Lutz Siebentag -

Harrington ist ausgebildete Soziologin, was die Herangehensweise, die analytischen Konzepte und auch die normativen Hintergrundannahmen ihrer Untersuchung über Vermögensverwaltung für UHNWI wesentlich mitbestimmt. In der Vorbereitungsphase erwarb Harrington zunächst im Rahmen einer zweijährigen Ausbildung ein TEP-Zertifikat (Trust and Estate Planning) der STEP (Society of Trust and Estate Practitioners). Ihre eigentliche Untersuchung beruhte dann empirisch auf Interviews mit 64 Vermögensverwaltern, die in der Regel Kunden mit einem investierbaren Vermögen von mindestens 30 Mio. Dollar betreuen. Manager, die in typischen Offshore-Zentren tätig sind, stellten die Mehrheit. Ihr Buch gliedert sich – sieht man von Einleitung und Schlusskapitel ab – in fünf Hauptkapitel: Professionalisierung des Wealth Managements (WM); Verhältnis der Wealth Manager zu ihren Mandanten; Taktiken und Techniken des WM; WM und Ungleichheit; WM und der Staat.

 

Professionalisierung

Vermögensverwaltung war die meiste Zeit ihrer Geschichte (die Harrington im Spätmittelalter in England beginnen lässt) eine „ehrenamtliche“ Tätigkeit von Gentlemen für Gentlemen. Wohl erst in den 1980er und 90er Jahren bildeten sich die typischen Merkmale einer „Profession“ heraus, wie etwa: Definition von Qualifikationen und Zutrittskriterien; Entwicklung eines Berufsethos; Identitätsbildung und Abgrenzung; kollektive Interessenvertretung. Diesem jüngeren Professionalisierungsschub zugrunde liegen verschiedene „Megatrends“: Globalisierung der Wirtschaft und der Vermögensmärkte; Wandel und die wachsende Vielfalt der Vermögens- und Anlageformen; zunehmende staatliche, juristische und finanzwissenschaftliche Komplexität in diesen Fragen; die Herausbildung einer transnationalen Klasse hochmobiler Vermögender. Diese Trends erzwingen den arbeitsteiligen Einsatz verschiedener Spezialisten (Finanzanalytiker, Juristen, Steuerexperten usw.), die Vermögensverwalter dann im Sinne ihrer Kunden qualifiziert zu koordinieren haben. Trotz des modernen, komplexen Anforderungsprofils stellt Harrington bei Wealth Managern die Persistenz eines geradezu „feudal“ anmutenden Verpflichtungsethos gegenüber den Mandanten fest. Gründe hierfür seien seit jeher: Langfristigkeit sowie Denken in dynastischen Kategorien und die damit verbundene Defension des Vermögens gegenüber einer Vielzahl von Dritten, die daran zu partizipieren bestrebt sind, aber auch die Rechtsform des Trusts (s.w.u).

 

Verhältnis zu den Klienten

Langfrist-Verhältnis, Dienstethos und die Kenntnis auch intimer Details des Mandantenlebens unterscheidet UHNWI-Vermögensverwalter von vielen anderen Finanzberufen. Idealerweise sollten Verwalter nicht nur die gesamten finanziellen Verhältnisse ihrer Klienten kennen, sondern auch jene sozialen, familiären und persönlichen Konstellationen, die für den Vermögenserhalt von Belang sein könnten, um entsprechend reagieren zu können. Den Interviews entnahm Harrington, dass Wealth Manager mitunter in erheblichem Umfang am Privatleben der Vermögenden teilhalben. Das verlangt den wohlhabenden Mandanten, die erfahrungsbedingt in Vermögensfragen eher misstrauisch sind, ein hohes Maß an Vertrauen ab. Deshalb erweist sich die Kontaktanbahnung für Manager als heikle Angelegenheit. In der Regel führen nur indirekte Strategien zum Erfolg. Vertrauensbildend wirken vor allem Gemeinsamkeiten im Hinblick auf: Umgangsformen, kulturellen Hintergrund, Bildung, Freizeittätigkeiten und Interessen. Passbedingungen dieser Art können jedoch in einer globalisierten Welt, in der Personen aus verschiedenen Kulturen aufeinandertreffen, immer weniger vorausgesetzt werden. Ein immer größerer Teil gerade der neureichen UHNWI stammt aus nichteuropäischen Kulturen bzw. Staaten, während im Offshore-Wealth-Management weiterhin Europäer dominieren. Das kann beiderseits zu Irritationen führen. Harrington berichtet, dass Kunden aus Asien oder dem Mittleren Osten sehr preissensitiv und leidenschaftliche Kostenminimierer seien. Vermögende aus BRIC-Staaten seien korrupte Regierungen gewohnt, was sie generell misstrauischer mache. Vor allem aber trauten viele Klienten, denen das Common Law fremd ist, dem für die angelsächsische Vermögensverwaltung zentralen Konstrukt der „Trusts“ nicht über den Weg.

 

Taktiken und Techniken

Oberstes Ziel der Vermögensverwaltung für UHNWI sei der Erhalt des Vermögens, bzw. dessen Schutz gegen vermögensmindernde Ansprüche. Die Gefahrenquellen varriieren mit der Struktur der Herkunftsstaaten. In politisch instabilen Systemen können dies Korruption, Unsicherheit / Ungewissheit oder auch Entführung sein. Besteuerung spielt hier häufig keine maßgebliche Rolle. Vermögende aus politisch stabilen Staaten suchten hingegen, so Harrington, hauptsächlich Schutz vor Besteuerung sowie Gläubigerforderungen. Neben diesen „Staats-Faktoren“ sind Familienkonstellationen eine weitere wichtige Quelle für Schwund oder Dissipation von Vermögen: Scheidung, Erbschaft und Konflikte rund um Familienunternehmen.

Zur Lösung dieser Probleme im Rahmen des Wealth Managements sei die Nutzung von Offshore-Zentren State of the Art. Ein wichtiger genereller Effekt bestehe dabei im legalen Verbergen von Vermögen oder auch Vermögenden vor Begehrlichkeiten und Augen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure. Harrington diskutiert in ihrem Buch drei organisatorische Lösungen für die drei genannten Problemfelder Steuer / Gläubigerforderungen / Familie, die im Wealth Management Standard sind: Trusts, Stiftungen, Unternehmen. Sie zeigt in Grundzügen, wie Wealth Manager auf Basis dieser drei Rechtsformen in Abhängigkeit von den spezifischen Problemen und Präferenzen der Klienten deren Vermögen gegebenenfalls sehr verschachtelt strukturieren. In der angelsächsischen Common-Law-Tradition seien „Trusts“ bevorzugtes Mittel der  Wahl, außerhalb würden die beiden anderen Formen stärker präferiert, etwa bei Steueroptimierung insbesondere Stiftungen.

Dass Harrington den Rechtskreis des Common Law und die Bedeutung der „Trusts“ im Buch so stark gewichtet, liegt nicht nur an ihrer TEP-Ausbildung in dieser Tradition, sondern auch an der leitenden historischen These des Buches, dass England das Mutterland des Wealth Managments sei, von wo aus es sich später via Kolonisierung bzw. Empire in der Welt ausgebreitet habe. Hier stellt sich die Frage: Pflegt sie einen (zu) anglozentrischen Blick auf die WM-Geschichte? Eine Antwort würde einen Vergleich etwa mit der Entwicklung im „römisch-germanischen Rechtskreis“ (Civil Law) Kontinentaleuropas erfordern. Ein solcher erfolgt aber im Buch nicht – das allerdings auch kein Geschichtswerk sein möchte.

 

Staat und Vermögen

Wealth Management großer Vermögen vollzieht sich auf globaler Ebene. Im Kontext des bestehenden Systems von Staaten bzw. Jurisdiktionen „onshore“ und „offshore“ soll offenbar im Sinne eines Regimeshoppings oder auch -hoppings für vermögende Klienten die günstigste Lösung erarbeitet werden. Das nähre aber tendenziell, so Harrington, einen ewigen Kampf um Ressourcen: Onshore-Staaten versuchen z.B. über Gesetzgebung und Verträge die Möglichkeiten der Steuervermeidung zu reduzieren; darauf reagieren dann Offshore-Zentren häufig so, dass sie für Vermögende weiterhin attraktiv bleiben. Es sei ein Katz- und Maus-Spiel, zitiert Harrington einen Wealth Manager. Begünstigt werde die Position der „Maus“ durch Einflussnahme WM-affiner Spezialisten auf die Gesetzgebungsprozesse insbesondere in Offshore-Zentren. Harrington diskutiert daraus sich ergebende Abhängigkeiten sowie Vor- und Nachteile für die dort ansässige Bevölkerungsmehrheit. Thesen zum Zusammenhang von modernen Wealth-Management-Praktiken und zunehmender Vermögens-Ungleichheit erörtert sie in einem gesonderten Kapitel. Zu geostrategischen Reflexionen über das „transnationale Imperium“ der Vermögenden verleitet schließlich der Hinweis von Harrington, dass sich viele Offshore-Zentren in ehemaligen englischen Kolonialgebieten befinden und dass unter Offshore-Managern überproportional viele britischer Herkunft seien. Denn ein alter geopolitischer Lehrsatz besagt, dass Landmächte in der Regel unter relativ hohem Ressourcenaufwand Flächen kontrollieren. Seemächte hingegen kontrollieren mit häufig geringerem Ressourceneinsatz vor allem Verbindungslinien und Ströme, indem sie strategisch wichtige Punkte oder Knoten besetzen. Das britische Empire beruhte vor allem auf effizienter Seemacht. Wenn also Harrington im transnationalen „Weltreich“ der Superreichen Spuren des Mutterlandes des Wealth Managements erkennt, glaubt der Rezensent die geostrategischen Muster einer effizienten Seemacht in verwandelter Form zu erblicken. Denn UHNWI-Wealth-Management setzt beim Kampf mit den Onshore-Staaten („Landmächte“) um Vermögen und Geldströme auf die Kontrolle strategisch günstig positionierter Punkte im „Offshore“-Bereich („Seemacht“). Es sind die Knoten, die hierbei entscheidend sind; sie werden dadurch selber zu kleinen Zentren der Macht. Daraus erschließt sich dann vielleicht auch der tiefere strategische Sinn des Wortes „Hub“ (u.a. Knoten, Zentrum), das vermögensverwaltende Briten häufig verwenden, wenn sie von Offshore-Lokationen reden.

 

Fazit

Wer bei der Vermögensverwaltung für UHNWI zuerst an die finanzwissenschaftliche Portfoliotheorie denkt, wird durch die Lektüre des Buches von Harrington eines Besseren belehrt. Denn ein wenig mehr Rendite im Anlageuniversum wiegt offenbar weniger als der legale Schutz großer Vermögen vor legaler Verminderung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure in einem globalen Operationsgebiet. Das bevorzugte Kampffeld ist demnach zunächst nicht der in Assetklassen segmentierte Markt, sondern das in Jurisdiktionen differenzierte Recht. Das „optimale Portfolio“ ist dann im ersten Schritt weniger die optimale Kombination von Aktien, Anleihen usw. als vielmehr die optimale globale Allokation bzw. Überführung des Vermögens in Jurisdiktionen und Rechtsformen – immer in Abhängigkeit von den Problemkonstellationen der Vermögenden und ihren Präferenzen.

Alles in allem ein interessantes Buch für Outsider. Kaum weniger interessant wäre es aber, zu erfahren, was Insider dazu sagen. Denn Harrington schreibt in ihrer Einleitung, dass Wealth Manager auf ihre bisherigen Veröffentlichungen zum Thema teils sehr ungnädig reagiert hätten. Einer auf den British Virgin Islands soll sogar gesagt haben: „you should be thrown off the island based on your writings“ (S. 24). Ein Gentleman eben.  

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