Buchbesprechung

„Verkaufen ist das Zauberwort...“

Redaktion -
Rainer Zitelmann wurde 1986 als Historiker promoviert. Er arbeitete u.a. in der Wissenschaft, als Journalist und in der Immobilienwirtschaft. 2016/17 schloss er mit „Persönlichkeit und Verhaltensmuster der Vermögenselite in Deutschland“ seine 2. Diss ab.

 

Die Überschrift ist ein Zitat aus einem Interview Zitelmanns mit einer sehr vermögenden Person, Themenblock: „Die Bedeutung verkäuferischer Fähigkeit“. Damit ist auch Kapitel 13 des hier zu besprechenden Buchs überschrieben – gemeint ist damit die Bedeutung für den finanziellen Erfolg von Hochvermögenden, mit denen Rainer Zitelmann im Rahmen einer soziologischen Dissertation ausführliche Befragungen durchführte. Die bei dem Potsdamer Reichtumsforscher Wolfgang Lauterbach eingereichte Arbeit wurde bereits vor einem Jahr unter dem Titel „Psychologie der Superreichen“ veröffentlicht.  

Die Kernfrage, die Zitelmann in seiner Untersuchung umtreibt, lautet: gibt es Merkmale der Persönlichkeit und des Verhaltens von Personen, die sich als Erklärungsfaktoren für den Aufbau großer Vermögen identifizieren lassen. Um dies herauszufinden, führte Zitelmann erstmals in Deutschland mit einer größeren Gruppe von hochvermögenden Personen umfassende Interviews durch. Er befragte sie strukturiert zu ihrer Lebensgeschichte; er forderte sie auf, sich im Hinblick auf verschiedene psychische Eigenschaften und soziale Konstellationen selber einzuschätzen; und er führte mit ihnen einen Persönlichkeitstest durch. Das Profil der Superreichen, das Zitelmann auf dieser empirischen Grundlage erstellte, weicht in vielem von dem Bild ab, das sich die Forschung bisher über die Wirtschaftselite in Deutschland machte.

 

Wirtschaftselite

Das akademische Wissen über die Wirtschaftselite, so Zitelmann, beschränkte sich, als er mit der Untersuchung begann, im Wesentlichen auf die Gruppe der Spitzenmanager in Großunternehmen. Damit wurde aber nur ein Teil der Wirtschaftselite erfasst, wenn auch ein sehr mächtiger. Zitelmann schlägt nun auf der Basis seiner Untersuchung vor, zur Wirtschaftselite auch noch die Vermögenselite zu rechnen, die sich überwiegend aus Unternehmern bzw. Investoren zusammensetzt. Beide Gruppen würden sich in wesentlichen Punkten unterscheiden: Im Fall der abhängig beschäftigten Spitzenmanager sei die Fähigkeit, sich in Hierarchien den Weg nach oben zu bahnen, entscheidend. Der Umstand, dass darüber nicht nur Leistungsmerkmale entscheiden, sondern auch Vorgesetzte, begünstige bei der Besetzung von Spitzenpositionen die Selbstrekrutierung aus den Reihen des Großbürgertums. Denn Studien stellten eine starke Homogenität dieser Führungsgruppe etwa im Hinblick auf hochwertige Bildungsgänge und großbürgerliche Herkunft mit entsprechenden Habitusmustern fest. Bei der vor allem unternehmerisch tätigen Vermögenselite sei hingegen die Fähigkeit mehr gefragt, sich am „anarchischen“ Markt durchzusetzen. Diese Personen kämen zudem viel häufiger – in der Gruppe, die Zitelmann befragte, war es sogar die überwiegende Mehrheit – aus der Mittelschicht. Auch seien die Bildungsgänge heterogener. Deshalb sollten bei der Vermögenselite auch Studien etwa zum Habitus zu anderen und heterogeneren Ergebnissen kommen als bei Spitzenmanagern.

Das ist im Kontext der Vermögensverwaltung auch deshalb von Interesse, weil Untersuchungen von Brooke Harrington plausibel machen, dass ähnliche Herkunft und ähnlicher Habitus von Verwaltern und potentiellen Kunden die Wahrscheinlichkeit einer Geschäftsbeziehung erhöhen. Der Private Banker befasste sich mit diesem Thema unter Berücksichtigung der Differenz Erbschaft / selbsterwirtschafteter Reichtum zuletzt in Ausgabe 03/2017 („Gates oder Getty: Superreich zu werden ist nicht exakt dasselbe wie superreich zu bleiben“, Link>>). Die Ergebnisse der Studie Zitelmanns stützen das dort vertretene Argument, dass gerade angesichts der zunehmenden Zahl von Selfmade-Hochvermögenden eine Orientierung an traditionellen Vermögensdynastien bzw. ein unterstellter Oberschichthabitus zu kurz greift.

 

 

Vermögenselite

Zitelmann befragte im Rahmen seiner Untersuchung 45 Personen (44 Männer, 1 Frau), deren Nettovermögen im Spektrum zwischen 10 Mio. und mehreren Milliarden Euro liegt; zwei Drittel besitzen mehr als 30 Mio. Euro, sie zählen demnach zu den Ultra-HNWI. Zitelmann wählte aufgrund seiner Fragestellung nur erfolgreiche Superreiche aus. Das sind nach seiner Definition Personen, die ihr aktuelles Vermögen in hohem Maße selber generierten, auch wenn sie ein bereits großes Vermögen geerbt hatten – was allerdings nur für eine Minderheit der Befragten zutraf. Damit reduzierte sich die Gruppe auf Unternehmer und Investoren. Die Hälfte davon kam aus der Immobilienbranche. Diese „Verzerrung“ der Auswahl ist einerseits der in der Forschung vielbeschriebenen Schwierigkeit geschuldet, überhaupt an Superreiche als „Untersuchungsobjekt“ heranzukommen, andererseits rührt sie gerade von Zitelmanns Lösung dieses Problems her. Denn der Autor nutzte den günstigen Umstand, dass er selber in dieser Branche tätig war und daher Zugänge zu UHNWI über engere (eigene Bekannte) und daran geknüpfte weitere Netzwerke herstellen konnte.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Teil 1 diskutiert grundlegende Konzepte, stellt den Forschungsstand in mehreren Gebieten verschiedener Disziplinen vor und enthält den üblichen, jedoch wichtigen Methodenabschnitt. Teil 2 präsentiert eine Auswahl der Antworten in den Interviews sowie deren Interpretation. Themen sind hier: Prägung in der Jugendzeit; Motive für Selbstständigkeit; Reichtum als Lebensziel; Bedeutung von Geld und verkäuferischen Fähigkeiten; Optimismus und Selbstwirksamkeit; Risikoorientierung; Bauchgefühl vs. Analyse bei Entscheidungen; Persönlichkeitstest; Konfliktaspekt; Nonkonformismus; Umgang mit Krisen und Rückschlägen.

 

Prägende Phase

An dieser Stelle können nur einige Ergebnisse der Arbeit herausgegriffen und kurz gestreift werden. Beginnen wir mit der Jugendphase: Zitelmann stellt fest, dass ein Großteil der Befragten (60%) aus Selbständigenhaushalten (Landwirte, Selbständige, Unternehmer) stammt, so dass die in den Interviews bekundete Präferenz für Autonomie schon in der Herkunft der Befragten eine gewisse Basis hat. Als weiterer wichtiger Komplex gilt generell die Schule: Die Hochvermögenden, die Zitelmann befragte, waren in der Schule mehrheitlich durchschnittlich, wobei sich jedoch auch Ausreißer nach unten darunter befinden. Manche verfolgten sehr zeitsparende Lernstrategien, einige waren sehr rebellisch gegenüber den Lehrern, viele zeigten in der einen oder anderen Weise einen „eigenen Kopf“, und die überwiegende Mehrheit praktizierte mit Leidenschaft ein selbstdefiniertes „Neben-Curriculum“. Zwei dieser für die Persönlichkeits- und Fähigkeitsentwicklung wichtigen außerschulischen Aktivitäten werden dabei besonders hervorgehoben. Erstens: ungefähr die Hälfte der Befragten betrieb intensiv Sport, in der Regel eine Einzelsportart. Sie bevorzugten dabei Leistungserbringung unter Konkurrenzbedingungen im freiwillig gewählten, disziplinierenden Sport oft mehr als im Kontext der Pflichtveranstaltung Schule. Zweitens: ein größerer Teil der Befragten hat sich bereits früh auf unterschiedliche Weise „geschäftlich“ betätigt und dabei das eigene Verkaufs-, Überzeugungs- und Organisationstalent unter realen Marktbedingungen entwickelt. In Anbetracht des Umstandes, dass die meisten der befragten Vermögenden das eigene Verkaufstalent als zentrale Erklärungsgröße ihres finanziellen Erfolgs beurteilen, ist diese außerschulische „Vorbildung“ kaum zu überschätzen. Damit zeigten die Personen bereits in der Jugendphase Dispositionen und Verhaltensweisen, die vielfach außer- oder auch „gegen-“schulisch trainiert wurden und die später zum finanziellen Erfolg beitrugen. Das gilt nicht nur für Verkaufstalent, sondern auch für generellere Eigenschaften wie Eigensinn und Nonkonformität, Streben nach Selbständigkeit, Leistungsdisziplin bei selbstgesetzten Tätigkeiten und Zielen, Organisationsfähigkeit. Soziologisch von Interesse ist, dass es sich bei diesen Erfahrungswelten nicht um geschlossene Oberschichtsmilieus handelt, sondern überwiegend um Mittelschichtmilieus, wenngleich einige der Befragten den als positiv empfundenen Kontakt mit sozial höher positionierten Milieus als motivbildend beschrieben.

 

Verborgenes Wissen

Hier kommt dann auch der Untertitel des Buches ins Spiel, der lautet: „Das verborgene Wissen der Superreichen“ . Was sich zunächst ein wenig esoterisch anhört, meint im Grunde: „Das implizite Wissen der Superreichen“, das diesen selber teilweise vorborgen bleibt. Denn implizites Wissen (auch der Habitus) ist in der Lebenszeit gewonnene und geronnene Erfahrung, die sich gegen adäquate sprachliche Darstellung sperrt. Dazu gehören auch jene Wissensbestände, die bereits in der Kindheit und Jugend gerade außerhalb der Schule als Vermittlungsanstalt expliziten Wissens inkorporiert wurden.

Zitelmann fragte jedoch auch nach der Bedeutung des impliziten Wissens im Berufsalltag. Und zwar nach der relativen Häufigkeit von Bauch- vs. Verstandesentscheidungen. Ob nun die hochvermögenden Entscheider tatsächlich häufiger ihrem Bauch vertrauen als der Durchschnitt der Bevölkerung, wie Zitelmann nahelegt, müssten methodisch validere Untersuchungen zeigen. In jedem Fall sind aber schnelle Heuristiken unter bestimmten Bedingungen gegenüber expliziten Entscheidungen nicht nur beim Tempo, sondern auch in puncto „Richtigkeit“ im Vorteil, wie Zitelmann unter Berufung auf die Forschungsergebnisse des Berliner Kognitionsforschers Gigerenzer darlegt.

 

Psychologie der Superreichen

Die Selbsteinschätzung der befragten Superreichen erbrachte eine sehr hohe Ausprägung bei den Items „Optimismus“ und „Selbstwirksamkeit“. Die Neigung zum „Risiko“ war wohl bei den meist älteren Befragten in der Anfangsphase sehr hoch, nach Stabilisierung des erzielten Vermögens bzw. mit dem Alter ging die Risikoneigung dann deutlich zurück.  Ein Persönlichkeitstest, der fünf Standardmerkmale (Big Five) misst, erbrachte: 1) „Gewissenhaftigkeit“ (bedeutet hier u.a. Pflichtbewusstsein, Fleiß, Ehrgeiz, Ausdauer) war in der Gruppe von allen Merkmalen am stärksten ausgeprägt; 2) „Extraversion“ (Redseligkeit, Energie, Mut usw.) war die Eigenschaft mit der zweithöchsten Ausprägung; 3) „Offenheit für neue Erfahrung“ (Neugier, Phantasie usw.) war gleichfalls bei den meisten hoch; 4) „Verträglichkeit“ (Harmoniebedürfnis usw.) fiel etwas niedriger aus; und „Neurotizismus“ (Nervosität, Ängstlichkeit, psychische Labilität) war am schwächsten ausgeprägt. Zitelmann nimmt an, dass Optimismus, hohe Selbstwirksamkeit und geringer Neurotizismus auch der Grund dafür sind, dass viele der Befragten berichteten, in schweren Krisen nicht die Nerven zu verlieren und negative Erlebnisse schnell wegstecken zu können.

 

Fazit  

Zitelmann kommt zu dem Ergebnis, dass die von ihm befragten Hochvermögenden einerseits durchaus eine heterogene Gruppe (etwa bei den schulischen Abschlüssen) bilden, er findet jedoch andererseits Ähnlichkeiten und Häufungen bei einer ganzen Reihe von Eigenschaften und Verhaltensweisen, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie positiv zum finanziellen Erfolg der Befragten beigetragen haben. Zitelmann weist auf die Grenzen der in seiner Studie angewandten, auf Selbstauskünften beruhenden qualitativen Methode hin. Mehr sei aber beim von ihm angetroffenen Stand der Forschung nicht möglich gewesen. Künftige Studien zur Reichtumsforschung können bereits auf Zitelmanns Buch als Hypothesenlieferant zurückgreifen. Aber auch Vermögensverwalter mit hochvermögenden Mandanten sollten von diesem sehr informativen Buch profitieren können.

 

 

Psychologie der Superreichen

Das verborgene Wissen der Vermögenselite

Autor: Rainer Zitelmann

Finanzbuchverlag

Preis: 34,99 EUR

Link: www.psychologie-der-superreichen.de

 

 

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