Vom Mischfonds zum Multi-Asset Investment

Faktoren und Alternativen

Lutz Siebentag -

 

Erweiterungen des Anlagehorizonts nicht nur beim norwegischen Staatsfonds I Im Gefolge der Finanzkrise sind auch klassische „duale“ Mischfonds, die einen Mix der beiden Assetklassen „Renten“ und „Aktien“ anbieten, unter Druck geraten. Denn mit der Krise und erhöhter Volatilität nahmen die Korrelationen zwischen beiden Assetklassen zu; sie waren nun vermehrt ähnlichen oder gleichen Risiken ausgesetzt. Hinzu kam auf der Rentenseite die Erfahrung, dass „klassische“ risikolose Erträge häufiger negativ als auskömmlich positiv waren: Die  theoretisch inspirierte Formel „Rendite ohne Risiko“ mutierte schnell zur praktisch informierten Rede vom „Risiko ohne Rendite“. Darauf konnte und kann man verschieden  reagieren.

Eine Möglichkeit besteht im Rahmen traditioneller  Mischfonds etwa darin, den veränderten Risiko-Ertrags-Relationen mit einer strategischen Höhergewichtung von Aktien Rechnung zu tragen. Eine andere, den „klassischen“ Rahmen  transzendierende Reaktion – auf die wir im Folgenden etwas  näher eingehen wollen – besteht darin, den Fokus stärker von  „Mischung“ auf „Vielheit“, auf das „Multi“ jenseits der traditionellen Asset- bzw. Risikoklassen zu richten. Oder, um es mit  der Überschrift auszudrücken: im Übergang vom Mischfonds  zum Multi-Asset-Fonds.

Der kann durch die Integration zweier  „Vielheiten“ vollzogen werden: Erstens durch Berücksichtigung der faktischen Vielheit der Risikofaktoren: Das Stichwort  lautete hier „Factor Investing“. Zweitens durch vermehrten  Zugriff auf die Vielzahl vorhandener Anlagemöglichkeiten: Das Stichwort lautet dabei „alternative Investments“. Beide Weiterungen haben eine enge Bindung an die akademische Welt:  die Suche nach Risikofaktoren verdankt sich entscheidend der  empirisch-statistischen Kunst in akademischen Departments.  Und alternative Investments wurden durch die US-Ivy-League-Stiftungen populär gemacht, wofür emblematisch „Yale“ steht.  Keine Überraschung daher, dass beide Weiterungen nicht nur für ein Mehr an Erträgen, sondern auch für ein Mehr an Komplexität, Aufwand, Aktivität, Kompetenz im Investmentprozess stehen. Keine Überraschung aber auch, dass spätestens mit der Veröffentlichung der „Yale-Erfolgsgeheimnisse“  durch Swensen die Stiftungen der US-Eliteuniversitäten vielen  Vermögensverwaltern als Vorbilder galten, die es zu imitieren  galt. Keine Überraschung schließlich, dass in Anbetracht der  häufig nicht gegebenen Voraussetzungen bei Nachahmern und schwächelnder Performance der Idole das sogenannte Yale-Modell zwischenzeitlich etwas in Misskredit geraten ist.

Seit 2008 ist Yngve Slyngstad Chef des norwegischen Staatsfonds. Das österreichische Wirtschaftsblatt berichtete am 24.1.2014:  „Slyngstad ... zog sich 1990 für ein  halbes Jahr nach Nordnorwegen  in eine Fischerhütte zurück, um  die Philosophen Martin Heidegger  und Georg Wilhelm Friedrich  Hegel zu studieren. ‚Das hat mir  geholfen zu verstehen, wie man  heute mit Risiken umgehen muss‘,  sagt der Manager, der mitten in  der Finanzkrise auf dem Chefsessel  Platz genommen hat.“  

Das ließ zugleich den norwegischen Staatsfonds, den größten auf Erden, der aufgrund seiner konservativen Selbstbindung von der „Yale-Mode“ lange unberührt blieb, in günstigerem Licht erscheinen. Die Finanzwissenschaftler Ang, Brandt und Denison haben letztes Jahr im Staatsauftrag das aktive Management  des norwegischen Fonds unter die Lupe genommen und dabei  auch gangbare „alternative“ Wege erörtert. Dieser Analyse liegt als konzeptioneller Rahmen ein Ertragsstufenmodell zugrunde,  an dem sich schematisch zeigen lässt, wie traditionelle Mischfonds in Richtung Multi-Asset-Fonds transformiert werden  können. Auf dieses Schema kommt es uns in diesem Beitrag an.

Ang et al. differenzieren den Fonds-Ertrag analytisch in vier Ertragsstufen, die jeweils, relativ zur vorhergehenden Stufe, Mehrerträge bzw. Prämien erklären: a) Diversifizierung eines Portfolios  aus Anleihen und Aktien, b) Rebalancing, c) Factor Investing, d)  aktive Suche nach Mehrerträgen. In dieses Schema können dann  alternative Investments bewertend eingeordnet werden.

Es ist nicht die berühmte Hand des Marktes, die in Angs-Schema unsichtbar ist, sondern der Markt selber. Die erste beobachtbare Stufe der Ertragsgenerierung fällt mit der  Aufgabe zusammen, in einem „klassischen“ Anlageuniversum  aus Aktien und Anleihen ein Portfolio zu konstruieren, in dem  die nichtsystematischen Risiken möglichst wegdiversifiziert  sind. Auf diese Weise soll die von der modernen Portfoliotheorie postulierte Diversifikations-Prämie realisiert werden,  d.h. ein Mehrertrag gegenüber einem weniger diversifizierten  Portfolio.  

Weil es sich hierbei um ein statisches Portfolio handelt, besteht die zweite Ertragsstufe in der periodischen Anpassung der Benchmark an die Dynamik der Finanzmärkte durch Rebalancing. Dieses wirkt antizyklisch und begünstigt im Übrigen langfristige Investoren, die mehr Handlungsoptionen haben als kurzfristig orientierte. Die Rebalancing-Prämie ist der Mehrertrag gegenüber der statischen Benchmark. Als Eigenschaften  einer optimalen „passiven“ Benchmark führen Ang et al. an. Sie sollte: a) gut diversifiziert sein; b) möglichst die Risikofaktoren  der liquiden Märkte abbilden; c) gut replizierbar sein; d) für Rebalancing geeignet sein; e) billig zu implementieren sein;  f) eine lange Geschichte haben. Ang et al. weisen zwar darauf  hin, dass die erste Stufe eine gewisse Aktivität erfordert und die zweite noch mehr, dennoch rechnen sie beide Stufen der  „passiven“ Seite zu.  

Die dritte Stufe der Ertragsgenerierung ist das „Factor Investing“. Generell liegt diesem eine Analyse des Anlageuniversums zugrunde, die zunächst weitgehend von anschaulichen Assetklassen abstrahiert. Sie beruht – in der Tradition der Fama-French-Modelle – auf multivariaten Schätzmodellen, mit deren Hilfe Risikofaktoren identifiziert werden sollen, die einen Mehrertrag (Faktor-Prämie) relativ zu einer klassischen passiven Benchmark (die ersten beiden Stufen) erklären können. Die Idee besteht dann darin, in diese Risikofaktoren zu investieren, um die „Faktor-Prämien“ zu verdienen und gegebenenfalls die Diversifikation zu verbessern. Da eine direkte Investition in Risikofaktoren häufig nicht  möglich ist, muss in diesen Fällen auf Faktorproxys zurückgegriffen werden, die sich durch eine Kombination investierbarer Assets darstellen lassen. Dabei werden sowohl Long- wie auch  Short-Positionen eingegangen. Ang führt einige bekannte  Beispiele für Faktoren an: Value-Growth; Size; Momentum  usw. Für Faktoren können Benchmarks konstruiert werden, die replizierbar sind und rebalanciert werden. Die dabei anfallenden Kosten sind aber meist höher als beim passiven Standard-Gegenstück. Auch können Komplexität und Heterogenität, unterschiedlich lange historische Zeitreihen, zeitliche Variabilität,  falsche Generalisierungen oder verschieden lange Zeitstrecken  der Verifikation Probleme bereiten. Zudem sind viele Faktor-Risikoprämien erst langfristig positiv, kurz- bis mittelfristig  muss auch mit höheren Verlusten gerechnet werden. Generell sind Investoren mit sehr langfristigem Horizont, aber auch mit  entsprechenden Kompetenzen hier im Vorteil. Diese Aspekte  rücken die Jagd nach Faktorprämien in die Nähe des aktiven  Managements. Weil jedoch vermehrt entsprechende Indexprodukte angeboten werden, sehen Ang et al. im Factor Investing  eine aktiv-passive Hybridform.  

Der Übergang zum reinen aktiven Management wird mit dem Schritt zur vierten Stufe vollzogen, in der es um die Titelselektion zur Erzielung eines Mehrertrags relativ zur vorausgegangenen Stufe geht. Ang et al. erachten das Random-Walk-Theorem, das der klassischen Effizienz-Markt-Hypothese zugrunde  liegt, als wissenschaftlich obsolet. Der Paradigmenwechsel wird  für sie mit dem Informationskostenansatz von Grossman / Stiglitz eingeleitet, denen zufolge Finanzmärkte nicht strikt effizient sind, weil Investoren stets nur unter Aufwand und Kosten  zu beseitigende Informationsasymmetrien ausnützen können. Bekanntlich zeigen jedoch viele Studien, dass es äußerst schwer  ist, auf öffentlichen Märkten Benchmarks zu schlagen. Chancen  sehen Ang daher eher auf weniger effizienten privaten Märkten.

Damit kommen wir zur zweiten „Vielheit“, den alternativen  Investments, die den Weg zum Multi-Asset-Fonds, wie wir ihn  eingangs definiert haben, abschließen. Ang et al. beurteilen die Chancen von Investitionen in Private Equity und Infrastruktur im Rahmen ihres Vierstufenmodells: Demnach können diese die Diversifikation, die Faktorstruktur und die aktive Selektion verbessern. Nur Rebalancing ist aufgrund der Illiquidität schwer zu realisieren.  Ein Potential zur besseren Diversifikation sehen Ang et al. u.a. in der Größe der Märkte für private Beteiligungen insbesondere auch in Schwellenländern. Dennoch schätzen die Wissenschaftler die Chancen in der Praxis als eher gering ein. Auch  sei von „alternativen“ Risikofaktoren nicht zu viel zu erwarten,  weil sowohl Empirie wie auch die US-Hochschul-Stiftungen  zeigten, dass es weitgehend dieselben seien, die Standardmärkte  bewegten. Die größten Chancen sehen sie beim aktiven Management. Einschränkend vermerken sie jedoch auch hier, dass  viele Studien in dieser Hinsicht skeptisch seien und zudem die  Streuung der Erträge sehr viel größer sei als auf öffentlichen  Märkten. Zu guter Letzt könnten Investoren lange suboptimalen  Pfaden folgen, weil das viele nicht schnell erkennen könnten.  Ineffiziente Märkte böten aber gerade langfristig orientierten  Investoren mit überlegenen einschlägigen Kenntnissen bessere  Chancen, aktiv Mehrerträge zu generieren. Der norwegische  Staatsfonds möchte an diesen Chancen zukünftig vermehrt  partizipieren. Damit entspricht er auch unseren Kriterien eines  Multi-Asset-Fonds.

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