Belastende DORA, motivierende Kunden
Private-Banker-Befragung von unabhängigen Vermögensverwaltern zu einigen aktuellen Trends
Wir befragten unabhängige Vermögensverwalter zu Trends, die das vergangene Jahr prägten und in naher Zukunft vermutlich nicht verschwinden werden. Um die Kurzumfrage möglichst niederschwellig zu halten, beschränkten wir uns auf sieben Fragen mit programmierten Antwortmöglichkeiten und der Gelegenheit, Kommentare zu hinterlassen.
Wir möchten uns an dieser Stelle zuerst ganz herzlich bei den 42 Vermögensverwaltern aus 38 Häusern bedanken, die uns ihre Antworten zugeschickt haben, sowie über die zahlreichen Kommentare, die wir aber fast alle nur anonym verwerten können.
Wir haben 6 Fragen zu Veränderungen (bzw. Nichtveränderungen) und eine Frage zu einer momentanen Niveaugröße (KI-Einsatz) gestellt. Eine bestimmte Veränderung ist mit unterschiedlichen Ausgangsniveaus vereinbar, weshalb es naheliegend gewesen wäre, zu jedem Trend auch noch die aktuellen Niveaus abzufragen. Das wäre aber über eine niederschwellige Kurzumfrage deutlich hinausgegangen.
Banken und Fintechs: Herausforderung?
Die erste Frage lautete: „Wie bewerten Sie die Konkurrenzsituation mit Banken im Trend?“ Rund drei Viertel der Teilnehmer sahen keine große Veränderung. Von einem abnehmenden Wettbewerbsdruck berichteten 17 Prozent der antwortenden Vermögensverwalter. Den Kommentaren war zu entnehmen, wo Banken eher schwächeln. Ein Kommentator fasste etliche Punkte zusammen: „Banken sind überteuert, zu langsam, oft technisch überholt, bauen permanent Personal ab, setzen verstärkt wieder auf Hausprodukte mit Retailmargen.“ Wenige konstatierten eine stärkere Banken-Konkurrenz (7%), und das kann auch von der geographischen Lage abhängen. So berichtete beispielsweise ein Vermögensverwalter aus dem Süden Deutschlands, dass die Konkurrenz aus Liechtenstein spürbar sei.
Der Wettbewerbsdrucks durch Fintechs ist noch etwas stärker zurückgegangen als der durch Banken. Denn 40 Prozent der Respondenten kreuzten die Antwort „Abnehmender Konkurrenzdruck“ an. 43 Prozent sahen die Lage unverändert und 17 Prozent berichteten von einer Zunahme des Wettbewerbs durch Fintechs. Den Kommentaren zufolge leidet die Attraktivität von Fintechs an ihrer Fokussierung auf Standardlösungen, jedenfalls seien sie im hochwertigen Beratungsgeschäft noch keine Konkurrenz. Die Betonung liegt auf „noch nicht“, denn im Hintergrund lauert das Potential von KI. Auch ist nicht gesagt, ob die Generationen der „digital Natives“ in Zukunft in Finanzfragen das gleiche Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt verspüren wie ihre Groß- oder Urgroßeltern.
DORA und Regulatorik: belastend!
Das Bedürfnis zu kommentieren ist meist geringer, wenn sich nichts verändert, als wenn sich etwas verändert. Und das Bedürfnis zu kommentieren ist meist größer, wenn etwas schlechter wird, als wenn etwas besser wird. Wir schicken das voraus, weil uns zum Thema Regulatorik die meisten Kommentare erreichten. Damit ist das Ergebnis im Wesentlich auch schon gesagt. Wir müssen es nur noch quantitativ ein wenig verfeinern: Der Antwortmöglichkeit „Herausfordernd – erhöhter Aufwand, aber handhabbar“ stimmten 38 Prozent der Vermögensverwalter zu, die Antwort „Belastend – sie haben Aufwand und Kosten deutlich erhöht“ kreuzten 62% an. Nun sind 38 plus 62 gleich 100 Prozent. Damit blieb für die Antwortmöglichkeiten „Neutral“ und „Positiv“ nichts mehr übrig. Nirgends sonst in den Kommentaren des Fragebogens, sondern nur hier, tauchen Wörter wie Unvernunft, Unsinn, Wahnsinn, Irrsinn oder Adjektive aus dem Bedeutungsfeld des Absurden auf, und dies verdichtet. Beginnen wir aber mit dem Positiven. Der freundlichste Kommentar zur Regulatorik lautete hinter der Antwort „Herausfordernd“: „DORA ist anstrengend, aber in vielen einzelnen Aspekten auch vernünftig, genau wie man das für MiFID 2 in der Retrospektive sagen kann.“ Was jedoch einzeln Sinn macht, kann im Ganzen ins Gegenteil umschlagen, wie Andreas Grünewald, Vorstandsvorsitzender der FIVV AG, schrieb: “Einzeln betrachtet ergeben die meisten Vorgaben durchaus Sinn, aber in der Summe ist inzwischen eine geradezu groteske Überregulierung entstanden, welche dringend entschlackt gehört!“ Seit Aristoteles wissen wir zwar, dass die Summe mehr ist als ihre Teile. Aber dass sich die Teile zur Groteske summieren, wusste wohl selbst Aristoteles noch nicht. Wesentlich zu den negativen Kommentaren hat offenkundig 2024 die Erfahrung mit DORA beigetragen. Um bei den alten Griechen zu bleiben, könnte man bei Lektüre etlicher Kommentare meinen, PanDORA halte weiterhin ihre Büchse geöffnet: „Trotz aller Beteuerungen der Politik – der Wahnsinn geht weiter; es wird weiter mit Kanonen auf Spatzen geschossen und niemand in den Behörden liest den ganzen Unsinn.“ DORA habe dringend für andere Aufgaben benötigte Zeitressourcen geraubt, merkten etliche Vermögensverwalter an; auch wurde mehrfach beklagt, dass die Verhältnismäßigkeit verloren gehe. „Frust pur!“ oder auch „absoluter Irrsinn!!“ standen als Schlusssätze von Kommentaren nicht allein – und die Ausrufezeichen gehörten hier mit dazu; sie wurden in den Kommentaren zur Regulatorik reichlich verwendet.
Digitalisierung und KI
Wir stellten eine Frage zum Trend der Digitalisierung unter Einschluss von Automatisierung und KI, sowie separat eine Frage zum aktuellen Nutzungsumfang von Künstlicher Intelligenz.
Zur Einschätzung der Digitalisierung können Vermögensverwalter bereits auf längere Erfahrungswerte zurückgreifen. Das sollte die Zukunftsprognose erleichtern – es sei denn, die Vergangenheit betrügt hier über die Zukunft krass.
Eine Bedeutungszunahme der digitalen Technologien in der unabhängigen Vermögensverwaltung erwarteten drei Viertel der Befragten (74%). Rund ein Viertel (26%) bewertete die Bedeutung dieser Technologie auf aktuellem Niveau als relativ stabil. Niemand glaubte, dass Digitalisierung an Bedeutung verlieren wird.
Generative Modelle gaben der Künstlichen Intelligenz einen neuen Schub und machten sie zum Überthema der letzten Jahre. Wir fragten: „Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz (KI) gegenwärtig in Ihrer Vermögensverwaltung?“
55 Prozent der Befragten schrieben, sie hätten das KI-Tool schon getestet, aber kaum systematisch in der Vermögensverwaltung eingesetzt. Ein Drittel setzt KI für bestimmte Aufgaben ein, und 12 Prozent nutzen KI bereits als Bestandteil der Investment- und Beratungsstrategie.
Kundeninteresse: Alternative und ESG-Investments
Die sechste Frage, die wir stellten, lautete: „Welchen Trend sehen Sie derzeit beim Kundeninteresse für alternative Anlagen?“ 80 Prozent sahen keine Veränderung, je 10 Prozent eine schwache Zunahme bzw. schwache Abnahme. Zwei der nur ganz wenigen Kommentatoren zu diesem Thema schrieben, dass die Nachfrage sowieso gering sei. Anders hingegen die Beobachtung von Andreas Böker von Böker & Paul: „Für Immobilien & Private Equity besteht dauerhaft hohes Interesse“. Noch scheint aber die sogenannte Demokratisierung der Private Markets bei den Kunden größtenteils nicht angekommen zu sein: „Es ist beeindruckend, wie stark sich die echte institutionelle Welt von der Retail- und semiinstitutionellen Welt abgrenzen kann“ kommentiert Andreas Böker weiter. Es ist dem Zitat zufolge die Institutionelle Welt, die Grenzen zieht, nicht die Welt der Privatkunden. Auch wenn diese Abgrenzung langsam durch neuen Produktformen wie ELTIFs oder Evergreen-Fonds löchriger wird, scheint sie in Deutschland immer noch relativ intakt zu sein (siehe Interview mit Dr. Philipp Bunnenberg in dieser Ausgabe: „Eine Demokratisierung ist zwar erstrebenswert, darf aber nicht überstürzt erfolgen.“)
Die Frage mit der zweithöchsten Zahl von Kommentaren war: „Welchen Trend sehen Sie derzeit beim Kundeninteresse für nachhaltige Lösungen?“ Eine Zunahme sah nur 1 Vermögensverwalter (gerundet 2 %). 43 Prozent bewerteten das Interesse als unverändert. 21 Prozent berichteten von einer schwachen Abnahme und 33 Prozent von einer starken Abnahme. In den Kommentaren wurden hauptsächlich drei Gründe für abnehmendes Interesse genannt: Erstens die Performance, zweitens die politische Diskussion bzw. Umsetzung gerade in Deutschland, drittens der hohe Aufwand u.a. durch Regulierungs- und Dokumentationspflichten. Ein Respondent schrieb beispielsweise: „Nahezu alle Kunden sind von diesem Thema genervt … siehe Kursentwicklung der letzten beiden Jahre + die politische Diskussion darüber … !“ Mehreren Kommentaren ist zu entnehmen, dass ein Kundeninteresse an ESG-Produkten sowieso nicht besteht oder gering ist. Das bedeutet aber nicht, dass ESG zwingend abgelehnt oder negativ bewertet würde. Ein Kommentator schrieb: „Interesse an Nachhaltigkeit im Sinne von ‚sinnvoll‘ und ‚nutzenstiftend‘ für Alle besteht schon lange. An ESG-Regeln oder ESG-Finanzinstrumenten besteht nach wie vor kein Interesse.“
Wenn sich schon ein Ist-Zustand der Geldanlage nicht an Soll-Vorgaben der Nachhaltigkeit anpasst, könnte sich umgekehrt das ESG-Soll an einen profitablen Ist-Zustand anpassen. Ein solcher Anpassungsprozess wird seit 2022 u.a. von der EU stark vorangetrieben, indem man die lange routinemäßig exkludierte Rüstungsindustrie vermehrt in ESG-Portfolios einrücken lässt. Ein Vermögensverwalter schrieb dazu im Hinblick auf seine Kunden: „Rüstungsunternehmen gewinnen auch in puncto Nachhaltigkeit Zuspruch.“
Schluss
In den Antworten der von uns befragten Vermögensverwalter sind drei ausgeprägte aktuelle Trends besonders hervorzuheben. Erstens: Auf der Seite der Technologie erwarten die meisten Befragungsteilnehmer eine weitere Zunahme der Bedeutung digitaler Technologien, wobei KI für die meisten befragten Vermögensverwalter aktuell noch nicht die große Rolle spielt. Zweitens hat gegenüber nachhaltigen Anlagen das Interesse der Kunden deutlich nachgelassen. Drittens wird ein Trend zunehmender Regulierung konstatiert, der für deutlich weniger als die Hälfte der Befragten herausfordernd, für deutlich mehr als die Hälfte belastend ist.
Weniger starke Trends sind bei zwei anderen Themenfeldern zu identifizieren: Deutlich mehr Vermögensverwalter berichten von einem abnehmenden Konkurrenzdruck durch Fintechs als von einem zunehmenden. Etwas schwächer ist dieser Trend eines abnehmenden Wettbewerbsdrucks im Verhältnis zu Banken.
Keinen Trend erkennen wir auf Basis der Umfrage beim Kundeninteresse an Alternativen Anlagen.
In den abschließenden Kommentaren hoben einige Vermögensverwalter nochmals ausdrücklich das Wachstum der Branche hervor. Dieses Wachstum sei aber nicht homogen, sondern konzentriere sich bei den größeren unabhängigen Vermögensverwaltern. Auch ging aus einigen Anmerkungen hervor, dass das quantitative Moment des Wachstums auf qualitativ hochwertiger individueller Verwaltung basiere, die über das hinausgehe, was Fintechs oder Banken in der Regel leisten. Dazu passt, dass in einigen abschließenden Kommentaren der starke „Wunsch nach persönlichem Kontakt und individueller Beratung“ hervorgehoben wurde. Dieses Zitat bezieht sich zwar auf die Bedürfnisse der Kunden. Jedoch wird in verschiedenen Kommentaren deutlich, dass Vermögensverwalter den persönlichen Kontakt als Eigenwert gleichfalls hoch einschätzen. Und der scheint umso mehr zu wiegen, je stärker externe Vorgaben belasten. Ein Kommentar brachte das klar zum Ausdruck: „Die Regulatorik macht (fast…) alles kaputt…..nur die Kunden halten die Stimmung und Motivation aufrecht!!“