Die Blockchain-Kolumne

Kahlschlag

Elmar Peine -

Vor ein paar Wochen in der „Datscha“, einem russischen Restaurant in Kreuzberg. Mir gegenüber sitzt eine Führungskraft aus dem Finanzsystem in den besten Jahren, der ich zu Beginn unseres Gespräches versichern muss, ihren Namen in meinem Artikel nicht preiszugeben. Warum? Siehe unten.

Nach ein wenig Vorgeplänkel – wir kennen uns schon länger – höre ich den Visionen meines Gegenübers über den Finanzmarkt und stocke schon als sie sagt: „ach, und Aktien gibt´s in 10 Jahren natürlich auch nicht mehr.“ Bitte?

Ich frage also nach: Wie sie das meine, was sich denn sonst noch so tun würde. In den nächsten anderthalb Stunden zerlegt meine Gesprächspartnerin das traditionelle Finanzsystem inklusive ihres Arbeitgebers fast zur Gänze. Wir befänden uns am Anfang des stärksten Transformationsprozesses der letzten 50 Jahre. „Depotbanken? Brauchen wir nicht mehr, wird alles durch sogenannte Distributed-Ledger und Smart Contracts gelöst. Settlement und Clearing? Dito. Die komplette Buchhaltung? Dito.“ „Und was wird dann aus Wertpapieren“, frage ich der Vollständigkeit halber. „Daraus werden Token.“ 

Nach einem circa dreiviertelstündigen Monolog ist sie fertig und greift zum Tee. Mir dröhnt der Kopf. Sie lacht, weil sie meine Gedanken vermutlich an meinem Gesichtsausdruck abgelesen hat. „Herr Dr. Peine, machen sie sich nichts draus, wenn ihnen jetzt der Kopf schwirrt. Ich habe auch circa ein Jahr gebraucht, bis ich es wirklich verstanden habe. Aber das habe ich jetzt und kann Ihnen sagen, dass ich mir in meinem ganzen Leben noch nie so sicher war, wie in dieser Sache. Das wird einfach alles verändern. Nicht nur die Finanzwelt.“

Mit „das“ meint sie Distributed-Ledger – also ein Netzwerk an Computern – die mittels Blockchain-Technologie Informationspakete sicher und teils regelbasiert von A nach B transferieren können. Und sie beschreibt eine Analogie, die es mir ein wenig leichter macht, das unheimliche Ausmaß dieser Entwicklung zumindest in Teilen nachvollziehen zu können. „Mit der Erfindung des Internets wurde der Informationsfluss demokratisiert. Viel mehr Menschen hatten durch diese Erfindung zeitnahen Zugang zu Informationen, da die Distributionskosten massiv sanken. Natürlich war auch die Entwicklung des Internets zu Beginn holprig, wie jetzt im Bereich Blockchain. Aber denken Sie daran, wie fulminant diese Veränderung war. Wann haben Sie das letzte Fax bekommen? Wann haben Sie den letzten Brief geschrieben? Auf welche Weise rezipieren Sie mehr Medieninhalte: Via technischem Gerät, oder via gedrucktem Papier“? Ich nicke. Das Internet hat ohne Zweifel viele Lebensbereiche fundamental verändert.

„Mit Distributed-Ledgern wird nun das Gut „Vertrauen“ demokratisiert.“ Über diesen Satz muss ich nachdenken und tue dies ehrlicherweise auch heute, Wochen nach dem Gespräch noch. „Früher waren Informationen teuer und daher einigen wenigen vorbehalten. Diese konnten auf Basis der Informationen bessere Entscheidungen treffen und ihr Einkommen dadurch mehren. Aber natürlich war das denjenigen gegenüber unfair, die sich diese Informationen nicht leisten konnten. Dies wurde durch das Internet verändert.“ Ja, so ist es denke ich mir. „Und genau das Gleiche steht nun auch dem Finanzsystem bevor. Das Finanzsystem basiert auf Vertrauen – bzw. eher mangelndem Vertrauen. Ich gebe halt nicht irgendwem auf der Straße meine Wertpapiere zum Verwahren, weil ich Angst habe, dass dieser Mensch damit weglaufen könnte. Meiner Bank vertraue ich, dass das nicht passiert. Aber dafür bezahle ich einen Preis. Genau dieses Vertrauen ist beim Einsatz der Blockchain-Technologie nicht mehr notwendig. Und daher eben auch keine Banken. Und natürlich auch keine Notare.“

„Aber was ist mit dem ganzen Schindluder, der beispielsweise mit Bitcoins getrieben wurde – das nutzen doch nur Verbrecher“, höre ich mich kritisch nachfragen. Sie fängt ein wenig an zu kichern und erwidert „Das ist – ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – immer eines der Argumente derjenigen, die sich noch nicht intensiv mit der Materie beschäftigt haben. Erklären Sie mir doch mal, warum ein Verbrecher auf die Idee kommen sollte, sich für seine verbrecherischen Transaktionen ausgerechnet das System auszusuchen, in dem jede – jede – Transaktion bis zum Ursprung zurückverfolgt werden kann? Das wäre das Dümmste, was man machen kann. Am besten eignet sich dazu immer noch Bargeld.“

Sie schaut auf die Uhr und entschuldigt sich einerseits, dass sie bei diesem Thema so sehr ins Schwärmen gerät, und andererseits, dass sie nun gehen muss. Ich bin hin- und hergerissen, muss man sich da wirklich eindenken? Ich fürchte ja.

 

Zurück