Alternative Geldanlagen

Die Vielen und das Eigenwohl – auf Private Markets machbar?

Redaktion -

Das Projekt der „Demokratisierung“ der bislang weitgehend geschlossenen Welt der alternativen Geldanlagen

Aristoteles zerlegte im dritten Buch der Schrift „Politik“ seine Analyse der Staats-Verfassungen in zwei Komponenten: eine quantitative mit den drei Ausprägungen „einer“, „wenige“, „viele“. Und eine qualitative, in der er Gemeinwohl- und Eigenwohl-Orientierung unterschied. Eigenwohl verstand er durchaus in einem ökonomischen Sinne. Daraus ergibt sich ein Schema mit 6 möglichen Kombinationen. Die Kombination „wenige“ und „Eigenwohlorientierung“ nannte Aristoteles Oligarchie, die Kombination „viele“ und „Eigenwohlorientierung“ Demokratie. Die Kombination „viele“ und „Gemeinwohlorientierung“, die man heute intuitiv mit dem Ideal von Demokratie verbindet, bezeichnete er als Politie.

Der privilegierte legitime Ort, an dem viele Gesellschaften ihren Mitgliedern zugestehen, ihren Eigennutzen zu mehren, ist die Wirtschaft. Durchgehend in Geldgrößen gemessen erfolgt dies am Kapitalmarkt. Die Frage also ist, ob Demokratie im Sinne von Aristoteles mit ihrem ökonomischen Hintergrundrauschen nicht auch an Kapitalmärkten zu suchen ist. Wer suchet, so heißt es, der findet – zum Beispiel die um sich greifende Rede von der „Demokratisierung“ der Private Markets. Nach dem Schema des Aristoteles ist damit gemeint der Übergang vom exklusiven „Eigenwohl“ nur der „wenigen“ institutionellen Investoren („Oligarchie“) zum inklusiven „Eigenwohl“, das auch die „vielen“ Privatanleger miteinschließt („Demokratie“).

Nun hat der Versuch, eine vielleicht für Marketingzwecke ersonnene Demokratie-Rhetorik für alternative Anlagen mit Aristoteles zu adeln, viele Haken. Einer ist die Frage: auf welches Tun der Investoren bezieht sich „Demokratie“ hier überhaupt? Die grundsätzliche Antwort im Fall der politischen Systeme lautet: erstens auf Entscheidungs-Partizipation und zweitens auf die dafür vorauszusetzende Informations-Partizipation. Beide Aspekte liegen auch der Idee der Aktionärs-Demokratie zugrunde. Gilt das auch für die sogenannte „Demokratisierung“ der Private Markets? Ein kursorischer Blick in verbreitete Veröffentlichungen zeigt, dass Informations-Partizipation im Sinne von Wissen/Erfahrung nach state of the art in fast allen Verlautbarungen zur „Demokratisierung“ der Private Markets eine überragende Rolle spielt. Über die gleichfalls zu stellende Frage der Entscheidungs-Teilhabe, die über das zugrunde liegende rechtliche Konstrukt definiert wird, wird demgegenüber weit weniger geredet. „Wahlentscheidungen“ sind zudem erforderlich im Zusammenhang mit der Auswahl der Manager. Im Wesentlichen aber ist im Kontext der Private Markets mit „Demokratisierung“ etwas anderes gemeint: einfach der breite Zugang zu diesen Anlageformen. Die Entsprechung im Falle des Staates wäre wohl am ehesten die Staatsbürgerschaft. Aber mit der ist bekanntlich noch nicht die Staatsform definiert. Soviel zur Tragweite der rhetorischen Formel „Demokratisierung“, die wir dennoch im Folgenden weiterhin verwenden, wenn auch in Anführungszeichen.

Im Folgenden werfen wir einen Blick auf alternative Märkte und das damit verbundene Expertise-Problem aus der Perspektive von Managern und Investoren. Basis sind zwei Befragungen, die im Herbst 2024 veröffentlicht worden sind.

Eine Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) unter Managern alternativer Fonds u.a. zur „Demokratisierung“ (2024 EY Global Alternative Fund Survey).

Und eine Befragung des Bundesverbands Alternative Investmentfonds (BAI) hauptsächlich unter Investoren (BAI Investor Survey 2024).

Private Markets weltweit: Akademien erforderlich?

Nach Angaben von EY hat das Volumen alternativer Anlagen von rund 13 Billionen USD Ende 2021 auf nicht ganz 20 Billionen USD bis Ende 2024 zugelegt. Branchenexperten erwarten einen weiteren Zuwachs bis 2029 auf 29,2 Billionen USD.

Als einen wichtigen Wachstumstreiber der nahen Zukunft sehen die von EY befragten Fondsmanager die „Demokratisierung“ der Private Markets.

Der Studie zufolge stehen weltweit wohlhabende Privatanleger als wesentliche Zielgruppe zunehmend im Fokus der Branche. Dieser Trend sei bisher in den USA am weitesten fortgeschritten. Auch Vermögensverwalter seien gerade in den USA zunehmend bestrebt, alternative Anlagen als strategisches Wachstumssegment für die eigenen vermögenden Kunden zu nutzen.

Zwar konzentrierten sich die befragten alternativen Fondsmanager noch überwiegend auf große institutionelle Investoren. Dennoch machten in den USA Ultra-High-Net-Worth-Kunden (ab 30 Mio. USD) und High-Net-Worth-Kunden (ab 1 Mio. USD) bereits einen bedeutenden Anteil der Investoren aus. Anders als bei diesen Kundengruppen habe bislang nur eine kleine Minderheit der befragten Unternehmen den Retail-Bereich unter 1 Mio. USD adressiert. Dennoch, so die Studie, habe in Zukunft auch der Zugang zum Retail-Kapital eine hohe Priorität.

Das wirke sich bereits dahingehend aus, dass vermehrt Zusammenschlüsse oder Kooperationen von Vermögensverwaltern, traditionellen Fondsmanagern und alternativen Fondsmanagern angestrebt würden. Begünstigt werde dies durch Regulatorik und neue Fondsstrukturen wie ELTIFs in der EU oder LATFs (Long-Term Asset Funds) in Großbritannien.

Jedoch bewerteten die befragten Experten eine Skalierung durch Integration von UHNW-, HNW-Investoren und noch mehr von Retail-Kunden als nicht einfaches Unterfangen. Benötigt würden Strukturen, die im institutionellen Bereich nicht erforderlich sind wie Vermarktung und Vertrieb, sowie Einrichtungen zur Informationsvermittlung und Aufklärung für Privatkunden etwa in Gestalt von Informationsplattformen oder Akademien.

Die letztlich entscheidende Frage für „Demokratisierung“ aber ist, ob sich das alles „rechnet“. Das ist offenbar unter den befragten Experten noch nicht ausgemacht. Denn einerseits, so die Studie, führe die Arbeit mit einer größeren Anzahl weniger erfahrener Investoren zu geringeren durchschnittlichen Investitionsbeträgen. Andererseits erhöhten sich zugleich die Kosten für Vertrieb, Markenentwicklung, Kundenansprache, Kundenbetreuung, Verwaltung, Compliance und Berichterstattung.

Weil bislang unsicher ist, ob für alternative Fondsmanager „Demokratisierung“ überhaupt profitabel ist, ist es der Studie zufolge auch fraglich, ob alternative Fondsmanager ausreichend motiviert sind, die erforderlichen Investitionen hinreichend lange durchzuführen. Gleichwohl skizziert die Studie zuversichtlich die Möglichkeit, dass der Prozess der „Demokratisierung“ auch im Bereich der alternativen Anlagen zu einer Stärkung von Funktionen und Aufgaben führen werden, die für traditionelle Vermögensverwalter typisch sind.

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Daten des BAI Investor Survey 2024

Private Markets in Deutschland: noch geschlossene Gesellschaft?

Der BAI hat im Herbst 2024 eine Umfrage unter 111 Institutionellen Investoren in Deutschland veröffentlicht (BAI Investor Survey).

Die Teilnehmer an der Umfrage waren überwiegend aus Versicherungsunternehmen und Pensionskassen, aber auch – mit deutlich geringerem Anteil – aus Stiftungen, Family Offices oder kirchlichen Einrichtungen. Von diesen Investoren hatten 19 Prozent Assets under Management von unter 1 Milliarde Euro, der Rest kam darüber, 59 Prozent der AuM lagen im Bereich zwischen 1 Milliarde und 25 Milliarden, 2 verfügten über 200 Milliarden Euro.

Die Studie zeigt, dass insgesamt die von den Investoren gewählte Diversifikation im alternativen Anlageuniversum inzwischen relativ hoch ist. Jeweils 10 oder mehr Prozent der Investoren sind in entweder 3, 4, 5, 6, 7 oder 8 Assetklassen investiert. 16 Prozent der Investoren sind in 6 Assetklassen investiert, das ist die am häufigsten genannte Zahl der alternativen Assetklassen.

Schaut man sich den Anteil der Investoren pro Assetklasse im Jahr 2024 an, dann liegt Real Estate Equity (mit 87% der Investoren) vorne, gefolgt von Infrastructure (über 80%), Corporate Private Equity (über 70%) und Corporate Private Debt (knapp über 70%). Diese vier Assetklassen bilden eine Spitzengruppe. Ein mittleres Cluster folgt mit einer Quote um die 50 Prozent. Dazu gehörten Infrastructure Debt, Real Estate Debt und Venture Capital. Dann kommt eine Gruppe mit Investoren-Anteilen um die 20 Prozent: Hedge Funds / Liquid Alternatives, Credit Specialities, Commodities und andere Real Commodities. Abgeschlagen waren Kryptoassets, in die nur 5 Prozent der Investoren anlegten.

Die drei wichtigsten Assetklassen im Hinblick auf weitere Investitionen in naher Zukunft sind Infrastructure Equity, Corporate Private Debt und Infrastructure Debt.

Der BAI adressierte das Thema Expertise gleichfalls. Er ließ in der Umfrage die Investoren ihre eigene Anlage-Kompetenz für alternative Märkte einschätzen auf einer sechsstufigen Skala von 1 (Anfänger) bis 6 (Experte). Die überwiegende Mehrheit der Investoren benotete sich mit den Stufen 6 (30%), 5 (32%) oder 4 (20%) – das sind zusammen 80 Prozent der Investoren – nur wenige gaben sich also „Noten“ weiter unten.

Eine weitere Frage galt den gegenwärtig größten Herausforderungen für Investoren bei der alternativen Geldanlage. Die Frage wurde jedoch nicht nur den an der Umfrage teilnehmenden Investoren gestellt, sondern auch noch Fondsmanagern. Zum Teil lagen die Einschätzungen beider Gruppen eng beieinander, zum Teil weniger eng oder sogar weiter auseinander. So meinten beispielsweise 27 Prozent der Investoren, das hohe Gebührenniveau sei für sie die größte Herausforderung, wohingegen nur 5% der Manager glaubten, dass dies für Investoren die größte Herausforderung sei. Hier kommen offenbar unterschiedliche Interessen und Perspektiven zum Ausdruck.

Am größten war die Einschätzungsdifferenz jedoch im Hinblick auf die Expertise. Im Jahr 2023 erachteten auf Investorenseite 15 Prozent ihre eigene Expertise als größte Herausforderung. Im Jahr 2024 waren es nur noch 4 Prozent. Allerdings kamen die befragten Manager 2024 zu einer deutlich anderen Einschätzung: 40 Prozent meinten, dass Expertise für Investoren aktuell die größte Herausforderung sei.

Nun kann man natürlich fragen, woher diese Differenz kommt. Die kurze Bemerkung in der BAI-Studie zu diesem Unterschied lautet: „Manager und Berater sind ziemlich gut darin, die Herausforderungen der Investoren einzuschätzen. Aber sie unterschätzen massiv die Erfahrung und Expertise der Investoren!“ Das spräche für einen „Bias“, eine Einschätzungsverzerrung der Manager. Generell gibt es zur Erklärung solcher Differenzen viele Möglichkeiten, es wäre daher sicher nicht uninteressant, die hier wirksamen Faktoren empirisch näher aufzudröseln.

Quelle: BAI Investor Survey 2024

Alternative Lösung: Peripatos statt Akademie

Wissensasymmetrien spielen auf Finanzmärkten eine große Rolle, auf privaten Märkten aus unterschiedlichen Gründen noch mehr als auf öffentlichen Märkten, die häufig näherungsweise als informationseffizient bewertet werden. Experten sehen in Wissensdefiziten eines Großteils der Privatanleger ein wichtiges Hindernis für eine „Demokratisierung“ der Geldanlage auf privaten Märkten. Die EY-Studie sieht eine Lösungsmöglichkeit in Akademien, die dieses Wissen vermitteln. Wenn man aber wie wir als Zugang zum Verständnis für diese „Demokratisierung“ den Weg über Aristoteles wählt, ist eine alternative Stätte der Lehre über alternative Geldanlagen das Naheliegende. Denn die Akademie war Platons Schule, die Lehrstätte des Aristoteles war der Peripatos. Der entscheidende Unterschied: in der Akademie lag man mehr, heute sitzt man in Akademien. Im Peripatos wandelte man denkend und diskutierend hin und her. Vielleicht ist die Wandelhalle das Modell der inklusiven Vermögensverwaltung für öffentliche wie private Märkte der Zukunft. Über ihrem Eingang könnte das Nietzsche-Zitat stehen: „So wenig als möglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung.“

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