DWS

DWS: Deutsche Industrie geht vom Gas

Gastautor -

Weniger Gas geben, aber noch weniger nehmen – das galt für Deutschlands Industrie diesen Sommer. Gas wurde eingespart, doch die Produktion wurde bisher kaum gedrosselt. 

Auf den ersten Blick scheint Putins Plan, Energie als Waffe einzusetzen, aufzugehen. Europas Medien kennen kaum andere Themen als die Verteuerung von Gas1) und die Angst vor einem kalten Winter. Auf den zweiten Blick sieht es allerdings eher nach einem Pyrrhussieg Putins aus. Nicht nur, dass mit Ankündigung des fast kompletten Lieferstopps die Gaspreise ihren Zenit überschritten haben und teils wieder die Hälfte des Spitzenpreises eingebüßt haben. Darüber hinaus scheinen selbst der Lieferstopp und die Preisexplosion nicht zum befürchteten Wirtschaftskollaps geführt zu haben. Warum?

Schauen wir uns etwas genauer an, wie Deutschland mit der Gasverknappung bisher umgegangen ist. Da wäre zum einen die Gasspeicherung, die deutlich schneller vorrangging als erwartet. Und zum anderen wäre da die Reduktion des Verbrauchs, bei der es ebenfalls beeindruckende Zahlen zu vermelden gibt. Dabei gehen wir davon aus, dass die privaten Haushalte erst im Herbst/Winter richtig zeigen werden, wie viel sie sparen können.2) Wo aber bereits gespart und durch andere Energiequellen substituiert und improvisiert wurde, ist die Industrie. Und, das ist der entscheidende Punkt, bei deutlich geringeren Produktionsausfällen als befürchtet. Wie unser „Chart der Woche“ zeigt, hat die Industrie etwa im Juli und im August rund 20 Prozent weniger Gas verbraucht als im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021.3) Dennoch ist im Juli4) die (reale) Industrieproduktion in Deutschland nur um zwei Prozent gegenüber der Periode 2018 bis 2021 zurückgegangen. Und wir glauben, dass sich die Zahlen noch verbessern könnten, wenn das Auktionsmodell eingeführt wird. Dann werden auch jene Betriebe, die derzeit noch von günstigen Lieferbedingungen profitieren, einen Anreiz haben, den Verbrauch zu drosseln und das überschüssige Gas mit Gewinn zu verauktionieren.

Das heißt natürlich nicht, dass der deutschen Industrie (und den Haushalten) nicht ein harter Winter bevorsteht - oder vielleicht auch zwei oder drei. Allein schon aufgrund der drastisch gestiegenen Preise. So rechnen wir in unserem Basisszenario auch mit einer leichten Rezession in Deutschland (und Europa) über den Jahreswechsel. Auch dürften die Klagen der Kleinbetriebe zunächst noch zunehmen. Doch ein Katastrophenszenario, wie man es noch vor wenigen Monaten auf Basis der nun eingetretenen Situation (praktischer Lieferstopp über Nordstream I) befürchtet hätte, wird uns wohl erspart bleiben. Zumal die Regierung mit einem Entlastungspaket in Höhe von rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts den privaten und gewerblichen Verbrauchern unter die Arme greifen möchte.

In Bezug auf Russlands Krieg hört man oft, Putin habe den längeren Atem, da sein Volk leidensfähig und geübt im Umgang mit einer Mangelwirtschaft sei. „Wir sehen nun allerdings auch, wie anpassungsfähig westliche Industrien, zumal unter außerordentlichem Druck, sind“, meint dazu Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa der DWS.

1) Terminkontrakte für Lieferung in zwölf Monaten haben sich seit Jahresanfang fast verfünffacht.

2) Nicht nur wegen der Heizsaison, sondern weil sich die höheren Gaspreise nur langsam in den privaten Gasverträgen niederschlagen.

3) Was die Energieagentur IEA im März dieses Jahres für möglich hielt, steht in dieser Studie: https://www.iea.org/reports/a-10-point-plan-to-reduce-the-european-unions-reliance-on-russian-natural-gas

4) Die Augustzahlen liegen noch nicht vor.

 

Zurück