Bitcoin-Interview

„Eine unfassbare Erfolgsgeschichte für ein Asset, das vor 15 Jahren noch ein Konzeptpapier eines anonymen Programmierers war“

Redaktion -

 

Verbreitet sind Kryptoassets unter unabhängigen Vermögensverwaltern in Deutschland nicht gerade. Die Dietrich & Richter Private Asset Management AG aus Goslar bietet neben der klassischen Vermögensverwaltung als eines der wenigen unabhängigen Häuser in Deutschland auch verschiedene Bitcoin-Lösungen an. Wir sprachen mit Dr. Leif Richter (Bild links) und Thomas Ullmann von Dietrich & Richter über die Welt des Bitcoins, dessen Eignung als Kryptoasset und die Zukunft der Mutter aller Kryptowährungen. 

Private Banker: Das Universum der Kryptoassets ist unübersehbar. Könnten Sie es für uns kategorial möglichst weit vereinfachen?

Thomas Ullmann: Die Grundfrage ist: was ist Bitcoin, was sind Kryptowährungen? Dazu gibt es zwei wesentliche Standpunkte. Der eine besagt: Es gibt Kryptowährungen und Bitcoin ist nur eine davon. Die andere Position lautet: Es gibt Bitcoin als eigenständige Anlageklasse und die unterscheidet sich von allen anderen Kryptowährungen. Bitcoiner vertreten die zweite Ansicht – und auch wir neigen zu dieser Einschätzung. Selbst wenn die Korrelationen untereinander groß sind, hat Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel einen eigenständigen Status. In dieser Funktion hat Bitcoin als einzige Kryptowährung eine Ähnlichkeit mit Gold.

Leif Richter: Für das Verständnis von Bitcoin als eigene Assetklasse ist auch die Entstehungsgeschichte sehr wichtig. 2008 wurde das White Paper veröffentlicht, in dem sowohl die technische Basis wie auch die strategische und philosophische Essenz von Bitcoin definiert wurde. 2008 war das Jahr der Finanzkrise und das White Paper stellte die Frage, ob man dem Geldsystem und den Zentralbanken überhaupt noch vertrauen kann. Das White Paper schlug eine grundsätzliche Alternative als Lösung vor, die sich mit dem Zitat „proof instead of trust“ gut überschreiben lässt …

Private Banker: ... aber erfordert nicht auch der Bitcoin ein gewisses Maß an Vertrauen?

Leif Richter: Ja, schon, aber die entscheidende Frage lautet, was ist die Basis für dieses Vertrauen? Der Zentralbank muss ich vertrauen, obwohl mir ihre internen Prozesse vielfach unbekannt sind. Beim Bitcoin ist zwar Vertrauen in ein technisches System erforderlich. Aber dieses basiert auf eindeutigen, expliziten Regeln, die prinzipiell jedermann zugänglich sind, der sich am Bitcoin-Netzwerk beteiligt.

Thomas Ullmann: Das Thema Vertrauen ist fundamental für jedes Geldsystem. Der Unterschied besteht darin, dass man im etablierten System oft sehr intransparenten Institutionen vertrauen muss, während man im Fall von Bitcoin einem nachprüfbaren technischen System vertraut. Und diese verschiedenen Vertrauensausformungen konkurrieren miteinander. Die Mehrheit vertraut gegenwärtig noch dem etablierten System mehr als Bitcoin. Die Umbewertung, der Vertrauenszuwachs für ein neues System benötigt Zeit.

Private Banker: Auf Regeln und technischen Lösungen bauen auch andere Kryptowährungen auf. Was ist das Besondere an Bitcoin?

Leif Richter: Bitcoin wurde konzipiert als grundlegende Alternative zu bisherigen Zahlungssystemen. Es handelte sich zunächst um eine technische Lösung im Rahmen eines dezentralen Netzwerks für die im White Paper formulierten Probleme. Kryptowährungen, die danach entstanden, hatten andere Themenschwerpunkte. Sie wurden als Startups gegründet, häufig mit der Idee, möglichst viel Geld für die Initiatoren einzusammeln. Bitcoin war kein Startup, es begann als Regelwerk, dem sich unabhängige Netzwerkteilnehmer im Konsens unterwarfen.

Es gibt weitere konzeptionelle Besonderheiten, etwa im Hinblick auf die Machtverteilung. So hatte beispielsweise der Gründer von Ethereum Vitalik Buterin von Beginn an die größten Anteile an diesem Netzwerk, was ihm die Kontrollmacht sicherte. Bei Bitcoin ist über das Mining die Machtverteilung im Netzwerk ganz anders entstanden und hat sich im Fortgang anders entwickelt.

Private Banker: Ist denn Bitcoin überhaupt eine Kryptowährung?

Leif Richter: Technisch gesehen ja, aber wie schon dargelegt unterscheidet Bitcoin  sich unseres Erachtens von allen anderen Kryptowährungen, indem es als Wertaufbewahrungsmittel und alternatives Geldsystem in Frage kommt. Unsere Sicht ist, dass Bitcoin aufgrund der starken Schwankungen als Zahlungsmittel zwar derzeit bei uns im Euroraum nicht geeignet ist. Aber in Ländern mit sehr hoher Geldentwertung – denken Sie beispielsweise an Argentinien – dürfte sich das schon etwas anders darstellen. Allerdings ist für uns der Bitcoin auch nicht primär ein Zahlungsmittel, wir sehen seinen Hauptnutzen in seiner Funktion als Wertaufbewahrungsmittel.

Private Banker: Ein Wertaufbewahrungsmittel – hat Bitcoin also einen intrinsischen Wert und wie würden Sie diesen ermitteln?

Leif Richter: Auf Märkten kreieren Angebot und Nachfrage den Wert. Ganz einfach. Es gibt viele Assets, bei denen der intrinsische Wert fraglich ist, Beispiel Kunstwerke. Das mit dem Wert würde ich daher nicht zu sehr verkomplizieren.

Schauen Sie zum Beispiel auf unsere Fiatwährungen. Es heißt, der Wert einer Währung bemesse sich am BIP einer Volkswirtschaft. Aber, um bei unserem Inflationsbeispiel Argentinien zu bleiben, dort hatte der Peso einen Wertverlust von 90 Prozent. Hat nun die argentinische Volkswirtschaft 90 Prozent an Wert verloren? Wie soll man in einem Fiatsystem den intrinsischen Wert messen?

Thomas Ullmann: Diese Wertdiskussion rund um Bitcoin ist auch abhängig davon, wie lange und wie tief man sich mit dem Thema beschäftigt. Am Anfang hat mich die Frage nach dem „inneren Wert“ auch beschäftigt. Man kann sich aber genauso fragen, was eigentlich der innere Wert von Euro oder Gold ist. Mittlerweile neige ich zum Wertbegriff der österreichischen Schule: Wert ist subjektiv und drückt sich letztlich in Marktprozessen aus. Er ist also in unserem Fall abhängig davon, was die Marktteilnehmer bereit sind, für den Bitcoin zu zahlen.

Private Banker: Wie entwickelte sich bislang die Bitcoin-Performance, also Ertrag und Volatilität?

Thomas Ullmann: Bitcoin hat bei null begonnen. Mit zunehmender Akzeptanz durch die Nutzer expandierte das System, der Preis stieg an, aber zunächst unter extremen Schwankungen. Die sind immer noch sehr stark, aber die logarithmische Skala zeigt, dass sie abgenommen haben. Das ist auch zu erwarten, wenn ein Asset an Vertrauen gewinnt, die Bitcoin-Adoption zunimmt, der Preis steigt. Die Schwankungen werden auch zukünftig abnehmen, aber auf absehbare Zeit immer noch so hoch sein, dass sie für viele Anleger schwer verdaulich sind.

Leif Richter: Das ist auch ein Problem für Vermögensverwalter, die ein gut diversifiziertes Portfolio betreuen. Wenn man beispielsweise einen Anteil von fünf Prozent Bitcoin beimischt, dann „grätscht“ Bitcoin mit seinen Schwankungen schon sehr stark in die Renditeverteilung. Wenn sie das Gesamtportfolio dann mit einem Kunden besprechen müssen, ist das nicht immer einfach.

Für uns war das auch der Ausgangspunkt für den Gedanken, Bitcoin mit reduzierten Schwankungen ins Portfolio zu nehmen.

Private Banker: Reden wir zuvor noch kurz über die Korrelationen im Verhältnis zu anderen Assetklassen. Wie sieht es damit aus?

Leif Richter: Hier sind derzeit insbesondere zwei Zusammenhänge zu beobachten:

Zum einen besteht eine positive Korrelation von Bitcoin mit Tech-Aktien. Zum anderen reagiert Bitcoin sehr stark auf Möglichkeiten, günstiges Geld zu bekommen: gehen die Zinsen runter, dann profitiert davon Bitcoin.

Allerdings beobachten wir langfristig zu anderen Assetklassen keine dauerhaft neutrale oder negative Korrelation, an dem Punkt sind wir noch nicht angekommen.

Thomas Ullmann: Historisch betrachtet haben wir bei der Korrelation eigentlich alles gesehen, positive mit Aktien, mit Gold oder auch mit allem anderen bei Bewegungen nach unten. Es ist ähnlich wie beim Gold-Dollar-Zusammenhang, da gibt es über lange Zeiträume ebenfalls so gut wie alles. Man kann aber langfristig feststellen, dass Bitcoin – wie auch andere nicht beliebig vermehrbare Assets – von erhöhter Geldschöpfung profitiert.

Private Banker: Sie haben gerade erwähnt, dass Sie Bitcoin ins Portfolio nehmen, aber mit gedämpfter Volatilität. Wie setzen sie diese Strategie um?

Leif Richter: Es handelt sich um klassische Options-Strategien – vor allem Covered Call Writing –, mit denen wir seit 4 Jahren arbeiten. Der Basiswert ist in diesem Fall Bitcoin. Die Option besteht darin, Bitcoin in der Zukunft zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Dafür wird eine Prämie bezahlt, die von der Volatilität abhängt. Diese Prämie ist bei Bitcoin in der Regel relativ hoch, der Stillhalter vereinnahmt sie sofort. Die Prämie sorgt auch für Absicherung nach unten.

Steht beispielsweise der Bitcoin bei 73.000 USD, nimmt man einen Verkaufspreis (Basis-Preis) von 75.000 USD an und bekommt man eine Prämie von 10 Prozent, dann erhält der Stillhalter 7.300 USD sofort. Dementsprechend besteht bei einem fallendem Bitcoin-Kurs ein Verlust-Puffer. Bei steigendem Bitcoin ist der maximale Ertrag der Gesamtposition auf 82.300 USD begrenzt.

Mit diesem Geschäft lassen sich die Schwankungen deutlich herausnehmen und man erzielt immer noch überdurchschnittliche Erträge. Damit wird Bitcoin auch für Vermögensverwalter interessant, die heftige Schwankung meiden wollen.

Thomas Ullmann: Sie fragten vorher nach der Rendite. Wir haben einen Fonds mit dieser Optionsstrategie für Bitcoin aufgelegt, einen Spezial AIF, der im September 2021 startete. Die Performance der Strategie bis Ende Oktober 2024, also nach etwas über 3 Jahren, betrug 70 Prozent nach Kosten. Bitcoin hat in diesem Zeitraum nur um 54 Prozent zugelegt. Die Options-Strategie hat also Bitcoin outperformt. Das liegt daran, dass Bitcoin sich in diesem Zeitraum auch seitwärts bewegt hat, aber eben bei starken Schwankungen.

Private Banker: Sie haben sicher auch verschiedene Szenarien des Bitcoin-Verlaufs simuliert. Wie sind da die Ergebnisse ausgefallen?

Thomas Ullmann: Wir sehen: Die Covered-Call-Strategie, die wir ja hauptsächlich anwenden, läuft sehr gut, wenn der Kurs von Bitcoin nach oben geht. Sie läuft ebenfalls sehr gut, wenn er seitwärts läuft. Und sie läuft immer noch ok, wenn er leicht fällt. Wenn er stark fällt, ist das nicht so gut, aber dagegen kann man sich mit Optionen an anderer Stelle absichern – das haben wir 2022 gemacht, da hat der Bitcoin 65 Prozent verloren und wir haben ein Plus von 5 Prozent gemacht. Das Einzige, was nicht passieren darf, ist, dass der Bitcoinkurs aufhört zu schwanken. Wenn also der Bitcoin gegenüber dem Euro so performt wie der Schweizer Franken, gerät diese Strategie an ihre Grenzen. Aber das wird mutmaßlich noch eine lange Zeit dauern, bis wir so weit sind.

Private Banker: Wer sind eigentlich die Anleger, die in Bitcoin investieren?

Leif Richter: Das sind nach unseren Beobachtungen vielfach Personen im Alter zwischen 30 und 50, nicht unbedingt die ganz Jungen, das hat uns auch überrascht. Eine klassische Zielgruppe gibt es nicht. Aber viel wichtiger ist: Man muss mit den Leuten über Bitcoin sprechen, man muss sie aufklären, auch weil Bitcoin in der medialen Öffentlichkeit sehr stark polarisiert. Deshalb sehen wir es als Vermögensverwaltung als unsere Aufgabe an, Kunden in den Strategiegesprächen zumindest darauf anzusprechen. Die Reaktion der Kunden ist dabei sehr unterschiedlich: Von Ablehnung über Zustimmung bis zu vertiefter Eigenbeschäftigung.

Thomas Ullmann: Vielleicht ergänzend dazu noch: Der betreute Klient vertraut dem Vermögensverwalter, dass er ihn gut berät und gute Entscheidungen trifft. Bitcoin ist zwar nach unserer Erfahrung sehr beratungsintensiv. Wir haben jedoch als Branche auch die Verantwortung gegenüber den Kunden, dass wir uns mit neuen Anlageformen, die großes Potential haben, auch beschäftigen und die Kunden darüber aufklären.

Private Banker: Letzte Frage: Wie sieht die Zukunft des Bitcoins aus? Wird er energiesparsamer? Wird es ihn in 10 Jahren oder in 20 Jahren überhaupt noch geben?

Leif Richter: Wir sehen im Bitcoin-Netzwerk, dass die Teilnehmer vieles beibehalten wollen. Und das betrifft auch die energieaufwendige Proof-of-Work-Funktionalität. Und das ist bewusst von allen Netzwerkteilnehmern so gewollt. Denn andernfalls wäre wieder eine zentrale Validierungsstelle erforderlich, der man vertrauen müsste. Und das lehnen die Netzwerk-Teilnehmer ab.

Ein weiteres Beispiel ist der von 2015 bis 2017 dauernde „Blocksize-War“. Um die Zahlungsmittelfunktion zu verbessern, wurde die Vergrößerung der Blöcke vorgeschlagen. Das wäre aber mit den kleinen Rechenkapazitäten, die für die Teilnahme am Bitcoin-Netzwerk lediglich erforderlich sind, den sog. Fullnodes, nicht mehr realisierbar gewesen. Man hätte auf größere Rechenzentren zurückgreifen müssen. Diesen Trend hin zu mehr Zentralisierung lehnten die abstimmungsberechtigen Netzwerkteilnehmer jedoch letztlich ab.

Wir gehen davon aus, dass sich Bitcoin über die nächsten Jahre und auch Jahrzehnte weiter in der bisherigen Form erhalten wird, denn Evolution wollen die konservativen Bitcoin-Teilnehmer nur in überschaubarem Maße.

Thomas Ullmann: Ich beantworte Ihre Frage jetzt mit einer starken These: Ja, Bitcoin wird es in 10 Jahren noch geben, ja Bitcoin wird es in 20 Jahren noch geben. Und Bitcoin wird in 10 Jahren viel teurer sein als heute und in 20 Jahren viel teurer sein als in 10 Jahren.

Das Bitcoin-Netzwerk war am Beginn seiner Entwicklung sehr fragil und angreifbar. Da hätte man dieses Netzwerk sehr leicht mit einer Computerattacke zerstören können. Das ist aber nicht passiert. Und in dem Maße, in dem das Netzwerk und dessen Rechnerleistung gewachsen sind, ist es technisch schon fast nicht mehr möglich, dieses Netzwerk zum Erliegen zu bringen.

Von den Leuten, die von einer reinen Spekulationsblase sprechen, hört man mittlerweile nichts mehr. Und wir haben inzwischen eine Situation, in der – und man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen – der größte Vermögensverwalter der Welt, Blackrock, einen Bitcoin-ETF auflegt und damit eine der erfolgreichsten, wenn nicht die erfolgreichste ETF-Neueinführung der Geschichte auf den Weg bringt. US-Pensionsfonds investieren ihre Mittel in Bitcoin. Nationalstaaten – kleine zwar, aber immerhin – haben Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Und die kommende US-Regierung hat sich dafür ausgesprochen, eine Bitcoin-Reserve einzuführen. Das ist schon eine unfassbare Erfolgsgeschichte für ein Asset, das vor 15 Jahren noch ein Konzeptpapier eines anonymen Programmierers war. Der wesentliche Teil der Entwicklung, das kann man sagen, liegt bereits hinter uns. Das hat zwar der Mainstream noch nicht verstanden, aber diese Entwicklung ist nur noch sehr schwer umkehrbar. Andererseits: Wenn man sieht, wie gering im Mainstream nach wie vor die Akzeptanz ist, dann haben wir noch ein gutes Stück vor uns, bis die Erfolgsgeschichte des Bitcoin zu Ende geschrieben ist.

Private Banker: Herr Dr. Richter, Herr Ullmann, vielen Dank für das Gespräch

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