Infront-Kolumne

ESG wird künftig im Investmentprozess unverzichtbar sein

Torsten Reischmann -

ESG (Environmental Social Governance) ist aktuell eines der Top-Themen im Finanzmarkt. Auch wenn ESG-Themen im Anlageprozess nichts völlig Neues sind, werden sie immer wichtiger. Grund dafür ist, dass die Gesellschaft allgemein, aber auch Stimmberechtigte, Aufsichtsbehörden und Investoren immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen.

ESG wird die Finanzmärkte dauerhaft prägen und wirkt sich insbesondere auf den Investmentprozess aus und zwar auf regulatorischer Ebene und in Bezug auf dem Kunden-/Anlegerinteresse. Regulatorischer Handlungsbedarf besteht insbesondere im Rahmen von MiFID II und der Offenlegungsverordnung. Auf Vertriebsseite wird dagegen mehr Unterstützung, Transparenz und Aufklärung zu diesem Thema erwartet.

Lesen Sie dazu das Interview mit Torsten Reischmann von Infront, der darüber spricht, welche regulatorischen Änderungen zu erwarten sind und welche Auswirkungen diese auf den Investmentprozess haben werden.

Schauen wir zunächst auf die Anleger. Wie schätzen Sie deren Interesse an ESG-Produkten aktuell ein? Gibt es dazu Zahlen?

Torsten Reischmann: Bereits heute gibt es viele Anleger, die sich für das Thema ESG interessieren. Einige wollen zunächst nur besser verstehen und wünschen sich Transparenz, wie ihr Portfolio z. B. in Bezug auf die Umwelt oder soziale Faktoren wie Kinderarbeit oder Waffenproduktion gesehen wird.  Eine Umfrage von Square Mile unter Finanzdienstleistern zeigt, dass es ein zunehmendes Interesse an speziellen ESG-Produkten gibt, also Produkte, die gezielt ESG-Faktoren berücksichtigen oder sogar ausschließlich nachhaltige Investitionen repräsentieren. In der Studie wurde unter anderem gefragt, welcher Anteil ihrer Kunden in ESG-Produkte investieren möchte.

Hier ergab sich folgende Verteilung:
Nur 22 % der Befragten gaben an, dass mehr als die Hälfte ihrer Kunden in ein Portfolio mit ESG-Ausrichtung oder positiven Auswirkungen investieren möchten. Darüber hinaus gaben 78 % der Berater an, dass weniger als 50 % ihrer Kunden in ein ESG-ausgerichtetes Portfolio investieren möchten, und 46 % behaupteten, dass weniger als 25 % ihrer Kunden dies wünschen würden.

Welche regulatorischen Auswirkungen hat das?

Die neue Offenlegungsverordnung, Anpassungen der MiFID sowie perspektivisch die Taxonomie-Verordnung werden sich alle auf den Investmentprozess auswirken und zu Änderungen führen.

Mit der Offenlegungsverordnung und MiFID soll es für Anleger leichter werden, Produkte im Hinblick auf ihre ESG-Ausgestaltung besser zu verstehen und so der Anlageberatung oder Vermögensverwaltung eine besser Orientieren an den ESG-Präferenzen ermöglichen.

Welche Auswirkungen sind durch die Offenlegungsverordnung zu erwarten?

Die Offenlegungsverordnung tritt bereits am 10. März 2021 in Kraft. Ab dann müssen Unternehmen zunächst auf Ihrer Webseite offen legen, ob und wie sie Nachhaltigkeitsaspekte in ihrem Investmentprozess berücksichtigen. Außerdem müssen sie für Produkte, die ökologische oder soziale Aspekte bewerben (sog. Artikel 8-Produkte) oder nachhaltige Investitionen darstellen (sog. Artikel 9-Produkte) vorvertragliche Informationen zur Ausgestaltung vorlegen. Dem sollen weitere Transparenzanforderungen, auch für nicht-ESG-Produkte, folgen.

Nachfolgend finden Sie den Zeitplan für nachhaltige Nachhaltigkeitsfaktoren:

 

Und hier ist der Zeitplan für vorvertragliche Produktinformationen und regelmäßiges Produkt Reporting:

 

Welche Änderungen sind durch die Anpassung der MiFID zu erwarten?

Torsten Reischmann: In den Änderungen ab voraussichtlich Q4/2021 sollen ESG-Präferenzen der Anleger berücksichtig werden. Insofern ist die ESG-Präferenz im Rahmen der Profilierung zu erheben und,  soweit entsprechende Präferenzen vorliegen, auch im Investmentprozess zu berücksichtigen. Außerdem muss der Product Governance-Prozess für den Zielmarkt um das ESG-Themenfeld erweitert werden. Darauf aufbauend sind dann bei der Portfoliokonstruktion in Vermögensverwaltung und Anlageberatung diese Präferenzen zu berücksichtigen, was mittels Zielmarktabgleich und Geeignetheitsprüfung zu validieren ist.

Was sehen Sie als die größten Herausforderungen für das kommende Jahr?

Torsten Reischmann: Im Hinblick auf die Detailausgestaltung der Regulierung sind noch sehr viele Fragen offen: So sieht zum Beispiel die MiFID aktuell, nach unserem Verständnis, eine höhere Anforderung an ESG-Produkte vor, als die Offenlegungsverordnung (umgangssprachlich „Artikel 8 plus“). Ein weiteres Beispiel sind fehlende finale Templates für die vorvertraglichen und regelmäßigen Dokumente unter der Offenlegungsverordnung.

Zugleich stellt sich allgemein die große Frage, welche der aktuell noch eher begrenzt verfügbaren Daten zu Finanzprodukten geeignet sind, um die Klassifikations- und Dokumentationsanforderungen, sobald sie wirklich klar sind, erfüllen zu können.

Wie unterstützt Infront seine Kunden dabei?

Torsten Reischmann: Wie auch bei den letzten größeren Regulierungsthemen wie MiFID II und PRIIPS werden wir unsere Kunden als Partner unterstützen, um eine effiziente und pragmatische regulierungskonforme Lösung zu implementieren. Zugleich möchten wir auch diejenigen, die ESG als ein Teil ihres Geschäftsmodells betrachten, umfassend dabei unterstützen, entsprechende Produkte mit unserem System entwickeln und managen zu können.

Aufgrund der vielen offenen Aspekte hatten wir in den letzten Monaten unseren Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Regulierung gerichtet und unser Verständnis der Sachlage im Austausch mit unseren Kunden bewertet. Außerdem bereiten wir unsere Systeme technisch für die wahrscheinlichsten Umsetzungsszenarien vor und sind in Gesprächen mit allen großen Datenanbietern über verfügbare ESG-Daten und Re-vendoring Modelle.

Wir planen, in Kürze mit einem geeigneten ESG-Datenprovider einen Re-vendoring Vertrag über mehrschichtige ESG-Scores abzuschließen. Er soll im ersten Quartal 2021 zur Verfügung stehen. Die Daten Integration soll dann im Laufe des ersten Halbjahres 2021 in allen relevanten Portfoliomanagement-, Beratungs- und Terminal Marktdaten Display Produkten erfolgen. So sollen standardisierte oder individuell konfigurierte Screening-, Monitoring- und Reporting-Use Cases unsere Kunden unterstützen.

Speziell zur Unterstützung der Offenlegungsverordnung planen wir, die vorvertraglichen und regelmäßigen Dokumente sowie dazu passende Investmentprozesse z. B. Pre- und Post-Trade-Checks, systemseitig zu unterstützen - mit konkreten Implementierungen sobald die finalen RTS (Regulatory Technical Standards) endlich vorliegen. Die zuvor genannten ESG-Scores können bei der Steuerung des Reportings von Produkten im Sinne der Offenlegungsvorordnung helfen, auch wenn sie noch zu konkretisieren sind (regulatorisch wie firmenindividuelle Ausgestaltung). Da einige Kunden bereits eigene Provider gewählt und eigene Investmentprozesse definiert haben, werden wir auch projektbasiert die Nutzung beliebiger importierbarer ESG-Daten in den Portfoliomanagement- und Beratungsprozesslösungen unterstützen..

Zur besonderen Unterstützung der MiFID-Erweiterungen werden wir den Zielmarkt-Service, die Kundenprofilierung, den Zielmarktabgleich sowie die Geeignetheitsprüfung anpassen sowie den Beratungsprozess um ESG-Aspekte erweitern. In Abhängigkeit von der noch zu konkretisierenden regulatorischen oder firmenindividuellen Ausgestaltung können auch die vorgenannten ESG-Scores in den Investment- und Kundenbetreuungsprozessen verwendet waren - ergänzend zu den erwarteten erweiterten WM-Zielmarktdaten.

 Was ist auf Kundenseite wichtig?

Torsten Reischman: Empfehlenswert ist, soweit noch nicht geschehen, sich grundsätzlich mit diesen Regulierungsthemen und ihren möglichen Auswirkungen zu beschäftigen. Diejenigen, die bereits heute ESG-Vermögensverwaltungen betreiben, sollten überlegen, ob sie im Sinne von Offenlegungsverordnung und MiFID ihre Produkte als ESG-Produkte vertreiben und gegenüber Bestandskunden dann auch als solche reporten wollen. Nach unserem Verständnis scheint ein anderes Vorgehen (d.h. mit Nicht-ESG-Produkten im Bestand) möglich aber gegenüber Endkunden problematisch. Soweit eine Vermarktung als ESG-Produkt (Artikel 8 oder 9) erfolgen soll, gilt es, bis März die vorvertraglichen Informationen zu überarbeiten und die Vorbereitungen für ein Reporting ab 2022 zu stellen.

Da MiFID die gesamte Anlageberatung und Vermögensverwaltung betreffen wird, empfehlen wir,  möglichst frühzeitig die erforderlichen Anpassungen (an individualisierte Workflows, Reports, Auswertungen etc.) zu identifizieren und die Umsetzung (z. B. mit Unterstützung durch Infront) zu planen.

 

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