Neue Studie

FOMO: Neues Risiko für Asset-Manager durch De-Diversifizierung?

Lutz Siebentag -

Verursacht der Trend zu konzentrierteren Portfolios eine Fear Of Missing Out (FOMO), eine Angst, Rendite zu verpassen? Ergebnisse einer neuen Studie zu Portfoliokonzentration, optimaler Portfoliogröße und der Chance, Langfrist-Hochleistungsaktien zu verpassen.

Schon absehbar, etwa an den drei schicken Schraubwinkeln, dass eine Apple-Aktie einmal 3,8 Prozent des gesamten Vermögenszuwachses an den Aktienmärkten über einen Zeitraum von 40 Jahren generieren würde?

Pensionsfonds und Versicherungen zählten lange zu den Anlegern mit den am breitesten diversifizierten Portfolios mit der größten Titelzahl. Seit geraumer Zeit hat sich jedoch nach Auskunft von Experten ein Gegentrend entwickelt: Institutionelle Anleger stellen vermehrt kleinere, konzentriertere Portfolios zusammen. Auch in diversifizierten Portfolios hat sich die Zahl der Aktien reduziert, sie liegt nicht mehr im vierstelligen oder oberen dreistelligen Bereich, sondern häufig nur noch im unteren dreistelligen oder oberen zweistelligen Bereich. Eine Studie zu 14.000 internationalen Aktienfonds im Zeitraum von 2001 bis 2014 kam auf einen Durchschnittswert von nur 86 Titeln pro Fonds.

Der niederländische Finanzprofessor Mathijs van Dijk ist zusammen mit Andreas Brøgger und Joren Koëter in einer unlängst veröffentlichten Untersuchung den Ursachen und insbesondere einigen Folgen dieses Trends der Portfolio-Verschlankung nachgegangen.     

Einen wichtigen Treiber sehen die Wissenschaftler im Nachhaltigkeitstrend großer institutioneller Anleger. Zum einen sorgen Ausschlüsse ganzer Sektoren für eine mehr oder weniger starke Konzentration. Zum anderen würden regulatorische Pflichten, Transparenzanforderungen, Reputationsrisiken und das ESG-Risikomanagement generell den Arbeitsaufwand pro Aktie massiv erhöhen. Das sei für Portfolios mit sehr vielen Aktien eine immer größere Herausforderung oder schlicht nicht mehr praktikabel. Asset Manager reagierten darauf mit der Reduzierung der Zahl der Titel in ihren Aktienportfolios.

Damit stellen sich zwei Fragen auch für große Institutionelle Investoren: Erstens: Kann man ein gut diversifiziertes Portfolio auch mit deutlich weniger Aktien bauen? Zweitens: Folgen aus der Verschlankung eventuell bisher weniger beachtete Konzentrationsrisiken? Die drei niederländischen Finanzmarktforscher geben Antworten auf beide Fragen mit Hilfe von Simulationen zur Portfolioperformance.

Simulation mit empirischen Daten

Dijk und Kollegen legen ihren Simulationen mit historischen Daten (Backtests) einen globalen Datensatz mit 87.266 Aktien aus 47 Ländern für den Zeitraum von Januar 1985 bis Dezember 2023 zugrunde. Die Titelselektion erfolgt durch monatliche Zufallsauswahl zur Bildung von Portfolios unterschiedlicher Größe (Aktienzahl n = 10, 50, 100, 250, 500, 750, 1000, 1500). Durchgespielt werden verschiedene Gewichtungsregeln und Aktienstrategien (plus ESG), u.a. diverse Faktorstrategien, so dass die Zufallsauswahl abhängig ist von unterschiedlichen Rahmenbedingungen, die in den Backtests variiert wurden.

Diversifikation und optimale Portfoliogröße

Wie groß sollte die Zahl der Aktien sein, die für ein optimal diversifiziertes Portfolio erforderlich ist? Den Studienautoren zufolge wird diese Frage auch heute noch oft mit dem Ergebnis einer empirischen Studie von Statman aus dem Jahr 1987 beantwortet, wonach 30 bis 40 Aktien ausreichen, um das idiosynkratische Risiko weg zu diversifizieren. Die Statman-Studie sei jedoch in vielerlei Hinsicht veraltet und mit Schwächen behaftet, so dass man sie heute nicht mehr ungeprüft als gültige Aussage übernehmen könne. Daher beantworten die drei Finanzwissenschaftler die Frage auf Basis der eigenen Datenbasis. Ihre Simulationen mit globalen Portfolios zeigen, dass merkliche (aber abnehmende) Diversifikationsgewinne noch bei bis zu über 100 Aktien zu beobachten sind; erst bei etwa 750 Titeln war eine Zunahme praktisch nicht mehr erkennbar.

Konzentrationsrisiko

Zum Problem einer hohen Portfolio-Konzentration referieren Dijk, Brøgger und Koëter zunächst Studienergebnisse von Bessmbinder und Kollegen, die besagen, dass langfristig nur 2 bis 4 Prozent der Aktien eines breiteren Portfolios eine Aktienprämie über dem risikofreien Zinssatz liefern würden. Im Zeitraum zwischen 1926 und 2016 hätten lediglich fünf Unternehmen (Exxon Mobile, Apple, Microsoft, General Electric, IBM) rund 10 Prozent der gesamten Vermögensbildung am US-Aktienmarkt generiert. Dijk und seine Mitarbeiter vermuten Ähnliches im Hinblick auf die „Glorreichen Sieben“ (Alphabet, Amazon, Apple, Meta Platforms, Microsoft, NVIDIA, Tesla) im letzten Jahrzehnt. Sollte dies zutreffen, könnten konzentrierte Portfolios nicht nur ein höheres Risiko aufweisen, sondern zudem auch eine niedrigere Rendite abwerfen, weil sie das relativ schmale Segment wirklich performancestarker Aktien verpassen.

Die Simulationsuntersuchungen bestätigen die Bessembinder-These: Auch Dijk und Kollegen finden, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Aktien zur Aktienprämie beiträgt. Nur 30 Aktien (0,03 Prozent der Aktien des Datensatzes) generierten 25 Prozent des globalen Vermögenszuwachses an den Aktienmärkten über einen Zeitraum von 40 Jahren. 162 Aktien (oder 0,19 % aller Aktien) generierten 50 Prozent und 1.871 Aktien (2,1 % aller Aktien) den gesamten Vermögensaufbau. Die Aktie mit dem größten Beitrag war Apple (3,8%), gefolgt von Microsoft (3,2%), Amazon (1,5%), Nvidia (1,2%), Alpabet (0,9%) und Exxon Mobile (0,86%).

Fear of Missing Out (FOMO)

Die Studienautoren schließen aus der extremen Schiefe der Verteilung der langfristigen Renditen von Aktien, dass auch Profianleger mit konzentrierten Portfolios die Aktien mit der besten Wertentwicklung – und damit einen wichtigen Teil der Aktienprämie – leicht verpassen können. Das impliziere die Möglichkeit des Bedauerns, im Vorfeld keine besseren Entscheidungen getroffen zu haben. Die aus dem Zusammenspiel von Portfolio-Konzentration und dünner Hochleistungsklasse bei Aktien resultierende FOMO sollte, so die niederländischen Finanzwissenschaftler, als eigenständiges Risiko betrachtet werden. Das FOMO-Risiko lasse sich technisch als die Wahrscheinlichkeit definieren, mit einem konzentrierten Portfolio den kleinen Teil der Aktien mit der besten Langfristperformance zu verpassen. Für konzentrierte Portfolios war den Simulationen zufolge das FOMO-Risiko über alle Spezifikationen beachtlich. Bei einem Portfolio mit 100 Aktien betrug die Renditedifferenz zwischen einer „glücklichen“ und einer „unglücklichen Auswahl“ rund 3,5 Prozent pro Jahr, was zu enormen Renditedifferenzen über lange Anlagehorizonte führt.  

Schluss

Zwei wichtige Hauptergebnisse der Studie zum Trend einer zunehmenden Portfoliokonzentration im Bereich der Institutionellen Investoren sind: Erstens benötigt man mehr als 100 Aktien, um idiosynkratische Risiken hinreichend weg zu diversifizieren, was deutlich über den bisher vermuteten 30 bis 40 Titeln liegt. Zweitens entsteht in konzentrierten Portfolios aufgrund des schmalen Segments langfristig herausragend performender Aktien das FOMO-Risiko, dieses Segment nicht im Portfolio zu haben.

Am Schluss noch zwei vergleichende Anmerkungen zur Studie von Baur (in dieser Ausgabe: Diversifikation – „the only free lunch”?).

In den Simulationen oben erfolgt die Aktienauswahl zufällig, obwohl die am besten informierten Profianleger den Hintergrund bilden. Bei Baur ist Zufallswahl die Strategie der nichtwissenden Anleger. Allerdings ist der Zufall in der Studie von Dijk und Kollegen abhängig von strategischen bzw. gewichtenden Randbedingungen, die variiert werden. Solch ein Rahmen steht jeweils für eine Überzeugung, die auf elaboriertem Wissen beruht (Factor Investing usw.). Deshalb hat hier Zufall eine andere Bedeutung als im Modell von Baur.

Baur liebäugelt mit konzentrierten Portfolios, weil maximal informierte Anleger der Sorte Markowitz die erwarteten Renditen und deren Streuung (Risiko) kennen. Unter dieser Modell-Annahme kann das FOMO-Problem gar nicht entstehen.

 

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