Die Markt-Kolumne

Nach der Nicht-Zinswende

Gastautor -

Zinswende wieder abgesagt, wohin geht die Fahrt jetzt?

Marktkommentar von Claus Walter, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Freiburger Vermögensmanagement GmbH:

Noch im ersten Quartal 2019 sah alles nach einer Normalisierung aus. Die Notenbank in den USA nutzte die gute wirtschaftliche Entwicklung, um auf der Zinstreppe nach oben zu marschieren. Manche spekulierten schon, wann die EZB folgen würde oder müsste. Aber heute hat sich die Perspektive der Notenbanken deutlich geändert. Mario Draghi stellte kürzlich eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht, falls sich die Konjunktur eintrüben sollte. FED-Chef Jerome Powell kündigte an, die ihm zu Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, um das Wachstum zu sichern. Damit gab er auch ein Stück weit dem Drängen von US-Präsident Trump nach, der versucht, durch Maßnahmen der Notenbank die inländischen Auswirkungen des von ihm angezettelten Handelskonflikts mit China auszugleichen. Offensichtlich scheint es Präsident Trump bei der Auseinandersetzung um mehr zu gehen, als nur Handelshemmnisse zu beseitigen. Für den Kampf um die amerikanische Vormachtstellung könnte ihm jedes Mittel recht sein. Die nächsten Monate werden zeigen, wie es vor diesem Hintergrund um die Unabhängigkeit der FED noch bestellt ist oder ob Trump auch hier bewährte Strukturen überwindet. Aber was bedeutet diese Gemengelage für Anleger?

Claus Walter (Freiburger Vermögensmanagement)

 

Keine Panik!

Am Jahresanfang empfahlen wir „Realistisch bewerten, statt Panikmache!“, und das gilt weiter. Natürlich ist der US-Handelskonflikt mit China weiterhin dazu geeignet, die globale Wirtschaftsentwicklung massiv abzubremsen. Auch der in Großbritannien wahrscheinlicher werdende harte Brexit Ende Oktober zu Halloween unter einem möglichen Premierminister Boris Johnson könnte spürbare Auswirkungen haben. Aber die Märkte haben diese nun schon lange bekannten Szenarien auch schon ein Stück weit eingepreist. Trotzdem legte seit dem Jahresanfang 2019 ungeachtet der bestehenden Unsicherheiten der DAX um über 15 Prozent und der Dow Jones um rund 13 Prozent zu. Unbestreitbar sind Risiken, wie der derzeit leicht entflammbare Konflikt mit dem Iran, hinzugekommen. Und manche Probleme, so die anstehende Auseinandersetzung im Euroraum mit der ausgabenfreudigen italienischen Regierung, sind wieder in den öffentlichen Fokus gerückt. Aber heißt das jetzt automatisch, Anleger müssen mit sinkenden Kursen rechnen und ihr Geld in Sicherheit bringen?

 

Mit Weitsicht investieren

Kapital sollte immer für stürmische Zeiten gerüstet sein und ja, es kann und wird in Zukunft Rückschläge geben. Es gehört zum täglichen Spiel an der Börse, dass sich aus Hoffnung und Angst durch Nachfrage und Angebot Kurse bilden. Wer sein Kapital aber langfristig entwickeln möchte, ist gut beraten, mit Weitsicht zu investieren, ohne sich von solchen Gefühlen leiten zu lassen. Die Weltbank senkte zuletzt ihre globale Wachstumsprognose von 2,9 auf nur noch 2,6 Prozent - Werte wie zu Zeiten der Finanzkrise. Trotzdem ist die Lage deutlich hoffnungsvoller als damals, denn laut Weltbank ist „die Weltwirtschaft an einer Wegscheide“. Natürlich könnte ein Hochschaukeln gegenseitiger Zölle den Welthandel belasten, aber die spürbaren Bremsspuren könnten auch den Druck erhöhen, doch noch eine nachhaltige Einigung zu erzielen. Wenn bei Donald Trump eines sicher ist, er wird schnell reagieren, wenn sich die Stimmung seiner Anhänger vor den Präsidentschaftswahlen dreht. Sollte der Handelskonflikt zu noch mehr spürbaren Auswirkungen im Alltag führen, wird eine Einigung deutlich wahrscheinlicher. Noch ist die US-Wirtschaft im Vergleich zu Deutschland oder Südkorea vergleichsweise glimpflich davongekommen, aber das muss nicht so bleiben. Das Leben der einfachen Amerikaner wird schon jetzt durch steigende Preise für Importe schwieriger.

 

Positives Szenario ohne Drama

Aber selbst wenn es keine schnelle Lösung gibt und sich die Verhandlungen noch lange hinziehen, muss das kein schlechtes Umfeld für Anleger sein. Denn eigentlich ist eine Gemengelage, in der die Notenbanken wieder anfangen die Konjunktur durch eine erneute Lockerung der Geldpolitik zu stützen, ein guter Nährboden für Aktienwachstum. Natürlich gilt das nur, wenn die Konjunktur nicht völlig wegbricht, sondern nur etwas nachlässt. Aber bisher weisen selbst pessimistische Prognosen für die vom Handelskonflikt besonders betroffene Exportnation Deutschland nur auf einen Wachstumsrückgang hin. Natürlich gibt es immer Potenzial für Dramen, aber die treten zum Glück relativ selten ein. Am Ende spricht mehr gegen als für einen wirtschaftlichen Weltuntergang. Eine ausbleibende Eskalation ist kein besonders unwahrscheinliches Szenario, denn sehr oft neigt die Realität deutlich weniger zu Extremen als unsere Erwartungen. Unsere strategische Vermögensallokation berücksichtigt durchaus die unbestritten bestehenden Risiken für die Weltkonjunktur und ganz besonders Europa. Und nicht umsonst gehören Dollar und Goldinvestments angesichts der bestehenden Gefahr für die Europäische Gemeinschaftswährung zum festen Bestandteil unserer Strategie. Wir behalten auch die möglichen Schwankungen durch Zinsänderungen genau im Auge und passen unseren Anleihebestand laufend daran an. Aber trotzdem sind wir auch dafür positioniert, dass der Rückenwind der Zentralbanken greift, sich doch noch zumindest ein Patt im Handelskonflikt abzeichnet und der Euro dauerhaft stabilisiert werden kann. Nüchtern betrachtet bietet die zweite Jahreshälfte viel positives Überraschungspotenzial, das gerade am Aktienmarkt spürbar sein könnte. Wohin uns die Reise führt, werden wir sehen, aber wir sind sowohl für stürmisches Wetter als auch anhaltenden Sonnenschein gerüstet.

Kühlen Kopf behalten

Es kann in den nächsten Monaten richtig heiß werden, das gilt nicht nur für den deutschen Sommer. Aber denken Sie daran, irgendwann kommt immer die Abkühlung und normaleres Wetter. Auf die Geldanlage übertragen heißt das für uns, wir sehen natürlich die dunklen Wolken am Horizont und bereiten uns auch auf ein Gewitter vor. Auf absehbare Zeit werden wir weiter mit niedrig bleibenden oder sogar wieder sinkenden Zinsen leben müssen. Sollte es hier zu Bewegungen kommen, werden wir das in unseren Anleiheportfolios zu nutzen wissen. Aus unserer Sicht führt vor diesem Hintergrund aber für einen langfristigen realen Kapitalerhalt kein Weg an Aktien vorbei. In aktive Trends wie Digitalisierung oder E-Mobilität zu investieren, bleibt auch vor dem Hintergrund einer möglichen Konjunkturabkühlung durch einen Handelskrieg attraktiv. Vermögen strategisch vernünftig mit einer gesunden Balance der Anlageklassen zu positionieren, ist für uns der beste Weg in dieser wechselhaften Wetterlage. Wir werden im Interesse unserer Kunden weiterhin einen kühlen Kopf bewahren!

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