Frank Fischer Gastbeitrag

Qualität gegen Volatilität

Gastautor -

„Modern Value“-Investing

Mit Qualitätsunternehmen Risiken abfedern

Von Frank Fischer, Shareholder Value Management AG

Die steigende Staatsverschuldung in Folge der Coronapandemie dürfte das Umfeld extrem niedriger oder negativer Zinsen auf Jahre verstetigen. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, deren Beginn in die Zeiten der globalen Finanzkrise von 2008 zurückreicht und deren Auswirkungen auf die Kapitalmärkte weiterhin spürbar sind. Da Anleihen nur noch wenig Rendite bringen, weichen auch klassische Anleiheinvestoren wie Pensionskassen, Versicherungen und Stiftungen zunehmend auf sogenannte Bond Proxies – Aktien von Unternehmen mit einem stabilen Geschäftsmodell, einer soliden Bilanz und einem stabilen Cash-flow – als Anleiheersatz aus.

Das „Modern Value“-Investing, eine Weiterentwicklung des klassischen Value-Investing nach Benjamin Graham, zielt darauf ab, solche Qualitätsunternehmen zu identifizieren.

Kern des klassischen Value-Investing ist der Grundgedanke, dass der Börsenwert eines Unternehmens nicht immer seinen durch die Unternehmensanalyse ermittelten Buchwert reflektiert.  Über- oder Untertreibungen des Marktes sorgen für Verzerrungen. Liegt der Börsenkurs unterhalb des Buchwertes, ergibt sich für den Investor eine Renditechance und zugleich eine Sicherheitsmarge, die einen Puffer hinsichtlich der künftigen Unternehmensentwicklung darstellt. Für Benjamin Graham war vor allem diese Bewertung bei der Aktienauswahl ausschlaggebend. Die Beschreibung von Value-Investing wird deshalb auch häufig auf die Formel „Investition in unterbewertete Aktien“ verkürzt.

Angesichts einer sich verändernden Wirtschaftsstruktur weltweit hat diese Definition aber Schwächen. Die Fokussierung auf die Realwerte eines Unternehmens greift bei weniger kapitalintensiven Unternehmen, etwa aus dem Software- und Internetbereich, zu kurz. „Modern Value“, wie wir es bei Shareholder Value Management umsetzen, ermittelt deshalb den inneren Wert anhand von Wachstumsraten und Kapitalrenditen. Liegt dieser „innere Wert“ unterhalb des Börsenkurses, ergibt sich die Sicherheitsmarge. Nicht allein der Realwert einer Aktie ist demnach in der „Modern Value“-Philosophie entscheidend, sondern die Frage, welchen Mehrwert in Form von Dividenden, Aktienrückkäufen, Wachstum und Rendite auf reinvestiertes Kapital ein langfristig orientierter Investor dafür erhält. Diese erweiterte Betrachtungsweise ermöglicht im Unterschied zur klassischen Value-Philosophie Grahams auch die Investition in Unternehmen mit einer höheren Bewertung (hinsichtlich KGV oder KBV), wenn die Kombination aus guten und sehr sicheren Wachstumsperspektiven und hohen erwarteten Renditen diese rechtfertigt.

Wundervolle Unternehmen

Es gibt verschiedene Merkmale, die ein „Modern Value“-Unternehmen kennzeichnen. So bilden strukturelle Wettbewerbsvorteile einen wirtschaftlichen „Burggraben“ um das Unternehmen. Das sorgt für Preissetzungsmacht und ermöglicht es, höhere Kosten an Kunden weiterzugeben. Eine gesunde Bilanz, die sich durch eine hohe Liquidität und eine angemessene, auf das jeweilige Geschäftsmodell abgestimmte Verschuldung auszeichnet, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen auf Dauer existieren und Mehrwert schaffen kann. Wir favorisieren Geschäftsmodelle, die für organisches Wachstum wenig bis gar kein Kapital benötigen. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass eigentümer- oder familiengeführte Unternehmen in der Regel eher auf ein langfristiges, nachhaltiges Wachstum ausgerichtet sind, weil diese als Mitbesitzer in jeder Lebenslage die besten langfristigen Entscheidungen für das Unternehmen und damit auch für uns als Mitaktionäre treffen. Um Faktoren, die den Unternehmenserfolg langfristig gefährden können, möglichst zu reduzieren, sind bestimmte Geschäftspraktiken (Korruption, Kinderarbeit) und Branchen (u.a. die Herstellung von Rüstungsgütern, Glückspiel, Kernenergie, Fracking) für uns von vornherein nicht investierbar.

Weisen solche Unternehmen eine attraktive Gesamtkapitalrendite (ROIC) und nachhaltige Wachstumsraten auf, sprechen wir von einem „wonderful business“. Eine hohe interne Verzinsung spielt dabei eine größere Rolle als regelmäßige Ausschüttungen, da sie über den Zinseszinseffekt langfristig den Unternehmenswert steigert – oder eben Value schafft. So ein „wundervolles“ Unternehmen zu einem fairen Preis zu kaufen, schafft unserer Meinung nach auf Dauer mehr Wert – oder Value – als ein mittelmäßiges Unternehmen zu einem wunderbaren Preis zu kaufen. Darin liegt der wesentliche Unterschied zur klassischen Value-Philosophie Grahams.

Die Brauerei-Gruppe Anheuser-Busch InBev (ABI) ist ein gutes Beispiel für so ein „wonderful business“. Der Konzern ist mit einem Portfolio von über 100 Marken die weltweit größte Brauerei-Gruppe, zu der u.a. auch Budweiser, Stella Artois oder Becks gehören. Da Bier ein sehr lokales Geschäft ist, kann ABI regional mit seiner Markenvielfalt punkten und hat in allen Schlüsselmärkten eine dominante Stellung. Der Aktienkurs war im Zuge der Corona-Krise um 60% eingebrochen (leider hat das Corona-Bier aus Mexiko, das auch zum Portfolio gehört, hier nicht geholfen). Da wir aber von der langfristigen Marktposition und dem Management von ABI überzeugt sind, haben wir die Gelegenheit genutzt, um einzusteigen. Mittlerweile haben sich die Umsätze wieder etwas stabilisiert, der Aktienkurs hat seit seinem Tief im März wieder um 50 % zugelegt.

Modern Value vs. Graham-Value: kein entweder - oder

Die „Modern Value“-Philosophie ist eine Ergänzung zur klassischen Value-Strategie. Sie erlaubt es, Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen, welche die aktuelle Krise gut überstehen oder gestärkt aus ihr hervorgehen werden, trotz höherer Bewertungen in das Portfolio aufzunehmen. Daneben hat auch der klassische Ansatz weiterhin seine Berechtigung. Klassische „Value“-Titel sind vor allem im zyklischen Bereich zu finden. Die Coronapandemie lastet ebenso auf der Weltwirtschaft, wie die ungewisse Zukunft des globalen Handels und die Energiewende in den Industrieländern. Damit sind zyklische Aktien, die stark am Konjunkturzyklus hängen, aktuell wenig gefragt. Aber die hohen Bewertungen, vor allem bei wachstumsstarken US-Technologiewerten, sowie eine Entspannung an der Coronafront, etwa durch einen Impfstoff, könnten dafür sorgen, dass Anleger wieder verstärkt ihr Interesse an Zyklikern entdecken. Wir setzen deshalb weiterhin auf einen Mix aus beiden Ausprägungen des Value-Investings.

Zurück