Die IT-Kolumne

Die Halbwahrheit der veralteten IT

Kay Behrmann -

Bank und Technik stecken mal wieder in einer Beziehungskrise. Die Öffentlichkeit staunt über doppelte Abbuchungen bei der einen Bank, ungewollten Einblick in fremde Konten bei der anderen, oder totalen Systemausfall ausgerechnet in der Dynamik nach dem Brexit-Votum bei einer dritten. Die Berichterstattung macht veraltete IT verantwortlich.

Vor ein paar Monaten traf ich etwa ein Dutzend Kollegen, alles IT-Berater der Finanzwelt, in Frankfurt zum Essen. Wir kannten uns aus gemeinsamen vergangenen Projekten, aber alle waren inzwischen in anderen Banken aktiv. Einer erzählte von seinem aktuellen Auftraggeber: „Seitdem ich dort die Technik kenne, würde ich denen mein Geld nicht mehr anvertrauen“. Allgemeine Heiterkeit.  Jemand ergänzte „Also wo ich gerade arbeite, würde ich mein Geld auch nicht mehr anlegen, so chaotisch wie es da zugeht“. Haha. Und so ging es dann die Runde weiter - alle Kollegen, die bei „ihrer“ Bank gerade tiefen Einblick in Technik und Organisation hatten, zweifelten genau dort auch an der Zuverlässigkeit des Instituts. Das Lachen verging uns etwas, als wir feststellten, man könnte nur den Instituten zu vertrauen, von denen wir keine internen IT-Details kannten.

Wird schon nicht so schlimm sein, könnte man jetzt einwenden, dafür gibt es ja die Aufsicht. Selbstverständlich steht die IT auch bei Innenrevision und externen Prüfern auf der Checkliste. Als IT-Berater bin ich durchschnittlich einmal im Jahr in Prüfungsarbeiten eingebunden oder betroffen, und nach meiner Erfahrung wird in der Praxis grundsätzlich die Dokumentation geprüft. Gelegentlich wird nach Protokollen der Testläufe gefragt. Bemerkenswert selten fragen Prüfer nach technischen Details oder einer Demonstration technischer Komponenten. Wenn die Dokumentation stimmt, würden viele Prüfer einen Schuhkarton als Datenbankserver akzeptieren. Von dem, was wirklich in der Technik läuft, sind sie so weit entfernt wie ein VW-Vorstand von der Abgaselektronik eines Dieselmotors.

Immerhin wird der IT-Projektstau in Banken inzwischen allgemein wahrgenommen. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung PPI, die dafür 54 Institute befragt hat. In einem „Stau-Atlas“ hat sie die vernachlässigten Projekte katalogisiert. Über zwei Drittel der befragten Teilnehmer planen, in Kernbank-IT zu investieren, um den Stau zu bekämpfen. So weit, so gut.  Aber wohin mit dem Geld? Neue Festplatten kaufen? Neue Server? Oder die neue Version der Kernbanksoftware? Es liegt nahe, „neue Technik“ zu kaufen, wenn die Diagnose „Veraltete Technik“ lautet. Nur leider hätte das die Skandale der letzten Monate auch nicht verhindert. Die Festplatten liefen einwandfrei, als die Doppelbuchungen entstanden, die Serverhardware arbeitete tadellos, als Fremdkonten offenbart wurden, und das neueste Kernbanksystem hätte die Überlast nach dem Brexit auch nicht abgefangen.

Schwierigkeiten machen die Abhängigkeiten zu anderen Systemen, komplexe Schnittstellen, und schlimmstenfalls fehlendes Know-How im Team. Oft wagt sich niemand mehr an ein System heran, weil die Auswirkung einer Änderung unabsehbar sind. Vor der kleinsten Verbesserung steht dann erst einmal eine aufwendige Analyse, um zu verstehen was dann passiert und wem man Bescheid sagen muss. Die Technik ist dann zwar nicht veraltet, aber erstarrt.

Schwierig wird es auch, wenn im Technik-Team das Information zur fachlichen Anwendung fehlt, die Verwendung der Daten bei Geschäftspartnern, Kunden oder Outsourcing- Dienstleistern nicht bekannt ist und in der Fachabteilung der Draht zur IT fehlt. Im Krisenfall weiß dann die rechte Hand nicht, was die linke tut. Auch da muss Verständnis aufgebaut werden.

Statt „Veraltete IT“ für Probleme verantwortlich zu machen müsste man eher eine erstarrte, schlecht beherrschbare und komplexe IT kritisieren. In erster Linie muss man dann in Mitarbeiter investieren, um Know-How, Tools und Verständnis zur Handhabung der Systeme aufzubauen . Und Verständnis hilft immer in Beziehungskrisen – auch in der zwischen Bank und Technik.

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