Finanzmarktforschung

Anlagestrategie - Vorbild Odysseus?

Redaktion -

Der Fundamentalsatz der Anlegerprospekte lautet: „die vergangene Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator der künftigen Wertentwicklung“. Damit wird jedoch nicht behauptet, dass die vergangene Wertentwicklung als Indikator überhaupt nicht taugt oder dass man die Historie der Wert- oder Kursentwicklung vergessen kann. Mikhail Samonov (Two Centuries Investments) und Nonna Sorokina (Pennsylvania State University) sprechen sich in einer neuen Studie im Namen der Performance sogar für mehr Kenntnis der Kursgeschichte aus. Ein Ergebnis der Studie („A Century of Asset Allocation Crash Risk“) könnte man so zusammenfassen: Die Länge der Kurshistorie im Bewusstsein der Anleger ist ein guter Indikator für die zukünftige Wertentwicklung ihres Portfolios.

Ein entscheidendes Problem der Geldanlage ist die Frage der Disziplin: Wann muss man an einer strategischen Regel festhalten? Elmar Peine liefert in seinem Beitrag in dieser Ausgabe („Regeln müssen wehtun!“) eine Antwort, die das Problem der Studie auf den Punkt bringt: „Feste Anlageregeln scheinen besonders dort sinnvoll zu sein, wo die Neigung, sie zu brechen, besonders hoch ist.“ Die Neigung, eine Regel zu brechen, ist für rationale Anleger dann am stärksten, wenn die berühmten Animal Spirits, die Affekte, im Begriff sind die Oberhand zu gewinnen. Dagegen kann man sich wappnen. Odysseus ist der berühmteste aller Trickser, die einen Kniff fanden, ihre Animal Spirits durch Bändigung an den Strudeln des Untergangs vorbeizusteuern. Die Autoren der Studie bieten eine etwas weniger spektakuläre Lösung im Falle von Börseneinbrüchen an.

Das Ausgangsproblem der Studie ist, dass Anleger eine Strategie wählen, die sie langfristig durchhalten wollen, auch im Falle von Kurseinbrüchen. Geben die Börsen allerdings massiv nach, fürchten viele Anleger einen Totalverlust. Das erhöht die Neigung, der entstehenden Angst nachzugeben, aus der Strategie auszusteigen und zu verkaufen. Begleitet wird dies von einem Wandel der Risikowahrnehmung. In Crashsituationen beklagen Anleger häufig, ihre Geldanlage sei viel riskanter als zuvor gedacht. Von den verschiedenen Faktoren, die sich in der Risikoeinschätzung niederschlagen, schauen sich die beiden Studienautoren daher einen näher an: die Länge der Kursgeschichte im Bewusstsein der Anleger. Die Vermutung lautet: Ein lange zurückreichender Erinnerungshorizont bei Anlegern beugt einer Unterschätzung des Risikos bei der Erwartungsbildung vor. Ein kürzerer Erinnerungshorizont führt bei Börseneinbrüchen eher zu Enttäuschungen, Panik und einer Flucht aus der Strategie durch Verkäufe. Die Frage ist dann, wie sich das auf die Performance auswirkt.

Die empirische Ausgangsbasis der Studie ist die historische Performance von verschiedenen Strategien der Asset-Allokation für den Zeitraum zwischen 1926 und 2020. Insgesamt wurden 7 Ansätze berücksichtigt: 1) 60/40-USA; 2) 60/40-Welt; 3) 60/40-diversifiziert; 4) Risikoparität; 5) Endowment; 6) Faktor; 7) dynamisch (siehe Studie, Link am Ende).

Beim kumulativen Ertrag in der Zeit zwischen 1926 bis 2020 lag die Endowment-Strategie vorne. Die 60/40-USA-Allokation bildete das Schlusslicht, aber nicht superweit abgeschlagen.

Das Rennen um die beste risikoadjustierte Performance (Sharpe Ratio) entschied der Faktor-basierte Ansatz für sich.

Die Studienautoren interessieren sich aber in erster Linie für die psychische Herausforderung eines Verlustes und die Reaktion darauf. Deshalb beschränken sich Samonov und Sorokina auf das Risikomaß Drawdown. Beim Vergleich der Maximal Drawdowns über die gesamte Zeitperiode zwischen 1926 und 2020 performte der dynamische Ansatz mit 26 Prozent am besten, der Faktor-Ansatz kam auf 44 Prozent, die meisten anderen Strategien hatten Werte um oder knapp über 60 Prozent (max. 62%).

Simulation

Die beiden Finanzmarktforscher untersuchten nun mittels Modell-Simulationen, wie sich die Performance entwickelt, wenn Anleger bei einem Kurseinbruch ihre Strategie aufgeben, indem sie verkaufen. Samonov und Sorokina unterscheiden neben den eben genannten sieben Strategien noch vier verschiedene Kurs-Erinnerungshorizonte, drei Risikotypen und vier Investmenthorizonte.

Die vier Erinnerungshorizonte betragen 10, 25, 50 Jahre und das Maximum an Jahren (Start der Zeitreihe 1926).

Die drei Risikotypen sind definiert über den Verlust, bei dem Anleger aus der Strategie durch Verkauf aussteigen: Risikotolerante verkaufen bei 100 Prozent des Maximum Drawdown innerhalb ihres jeweiligen Erinnerungshorizonts; Risikoneutrale verkaufen bei 75 Prozent und Risikoaverse bei 50 Prozent.

Schließlich gibt es vier Investmenthorizonte: 5,10,20,40 Jahre. Das hierfür betrachtete Zeitfenster reichte von 1970 bis Ende 2020.

Ein Beispiel: Angenommen, ein Investor wählt die 60/40-Strategie und hat 1970 einen Investmenthorizont von 40 Jahren. Bei maximalem Erinnerungshorizont seit 1926 liegt der maximale Drawdown im Jahr 1970 bei 62 Prozent. Bei einem 10-Jahre-Erinnerungshorizont, wie er für die Finanzberatung typisch ist, beträgt er nur 18,5 Prozent. Ein risikotoleranter Investor wird bei einem 10jährigen Erinnerungshorizont dann im Fall eines Einbruches bei einem 18,5-Prozent-Verlust verkaufen, bei maximalem Erinnerungshorizont hingegen erst bei einem 62-Prozent-Einbruch.

Ergebnisse

Jeder der Faktoren Strategie, Risikopräferenz, Investmenthorizont, Erinnerungshorizont wirkt sich auf die Performance aus. Aufgrund der Vielzahl von kombinatorischen Möglichkeiten beschränken wir uns auf wenige zentrale Ergebnisse der Studie im Zusammenhang mit dem Erinnerungshorizont (ausführlicher siehe Studie).

Insgesamt erweist sich das Durchhalten einer Strategie in der Simulation als beste Wahl. Risikotolerante Investoren mit dem längsten Erinnerungshorizont schneiden am besten ab – außer bei kurzem Investmenthorizont. Aber selbst risikoaverse Anleger mit langem Erinnerungshorizont schneiden die meiste Zeit verhältnismäßig gut ab. Ein langer Erinnerungshorizont zahlt sich besonders dann aus, wenn der Investmenthorizont lang ist und die Portfolios Krisenphasen durchlaufen müssen.

Am schlechtesten fahren im Hinblick auf die Performance langfristige Investoren, die zugleich risikoavers sind und auf Basis eines kurzen, also 10jährigen Erinnerungshorizonts ihre Risiko-Erwartungen bilden.

Bei den Strategien „Risikoparität“ und „dynamisch“ hatte die Länge des Erinnerungshorizonts den stärkten Performanceeffekt. Offenbar neigen hier auch risikotolerante Anleger bei kurzem Erinnerungshorizont zur Flucht aus der Strategie.

Eine Simulation des Wiedereinstiegs nach dem Ausstieg zeigt, dass die Performance in der Regel deutlich verbessert werden konnte.

Schluss

Die Simulationsergebnisse der Studie sprechen dafür, dass Informiertheit der Anleger in Gestalt eines langen Erinnerungshorizonts einen gegebenenfalls deutlichen Performance-Unterschied ausmacht. Eine weiter zurückreichende Kenntnis der Kursgeschichte hilft, adäquatere Risiko-Erwartungen zu bilden. Das mindert im Crash-Fall die Enttäuschung der Anleger, ihre Angst-Neigung und ihren Drang, aus einer Strategie ganz auszusteigen – mit positiver Wirkung auf die Performance.

Link zur Studie: “A Century of Asset Allocation Crash Risk”

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