Die Herausgeber-Kolumne

Schichtwechsel

Elmar Peine -

 

Wie der Begriff der Arbeit seinen Heiligenschein verliert und was das für die mittelfristigen Börsenaussichten bedeuten könnte.

Vor wenigen Wochen gab der Gründer der Modemarke S.Oliver, Bernd Freier, dem Spiegel ein Interview. Titel: „Ich finde Arbeit geil.“ Er erzählte unter anderem, wie er um vier Uhr nachts Emails schreibt, die dann seine Angestellten in China zu Arbeitsbeginn auf dem Schreibtisch vorfinden und wie er den Urlaub auf Malle nutzt, um die Konkurrenz auszuspionieren.

Solche Typen gab es, die Älteren werden sich erinnern, im vorigen Jahrtausend in der sogenannten Wirtschaftswundergeneration sehr häufig; Leute, die sich dafür feiern ließen, dass sie praktisch nur arbeiten. Heute wirken sie fast schon skurril und zeigen vor allem, welchen Stellenwert Arbeit noch vor kurzer Zeit hatte: Sie war (und ist vielen heute immer noch) die zentrale Kategorie des Wirtschaftswesens der modernen Industriegesellschaft und der Fahrschein für eine anerkannte gesellschaftliche Teilhabe, theoretisch schon vor 150 Jahren geadelt unter anderem durch Marxens Arbeitswertlehre. Arbeit war und ist ihrer Standesvertretung, den Gewerkschaften, heute immer noch Maßstab aller Wertschätzung. Als der ehemalige Arbeitsminister Franz Müntefering, ganz in dieser Tradition stehend, 2006 aus der Bibel (nicht ganz korrekt) zitierte „Nur wer arbeitet, soll auch essen“, blieb ein Aufschrei aus. Immerhin: Müntefering hatte nicht nur Hartz IVIer, sondern auch Vermögende damit getroffen, die ja auch häufig arbeitsloses Einkommen beziehen. Durch die Brille der Münteferings kommt es einer Charakterschwäche gleich, gesund zu sein und nicht zu arbeiten. Umgekehrt: Je mehr einer arbeitet, desto besser. Nach dieser Logik muss, wer vermögend ist, besonders viel gearbeitet haben. Und es ist diese Logik, nach der viele Unternehmer meinen, sich heute noch als Rund-um-die-Uhr-Arbeiter gerieren zu müssen. Selbst Hochvermögende stellen gerne den Bezug zur Arbeit her, um ihre gesellschaftliche Position zu rechtfertigen.   

Wie hätten vergangene Gesellschaften diese Bewertung der Arbeit gefunden? Was hätten Jäger und Sammler gesagt, wenn man ihnen erzählt hätte, dass man mit mehr Jagd und mehr Sammeln nicht einfach nur ein Zuviel an Beute herbeischafft, die verkommt, sondern „reicher“ wird. Was hätte ein Bauer in der Zeit der Physiokratie, der durch und durch landwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsform, erwidert, wenn man ihm erzählt hätte, dass mit immer mehr Arbeit ein immer größerer Ertrag und ein immer größeres Einkommen möglich wäre? Er hätte gesagt, dass man nur einmal pflügen und nur einmal ernten könne.

Was in früheren Gesellschaftsordnungen abwegig erschienen wäre, könnte auch für Künftige so sein. Menschliche Arbeit wird nicht den Stellenwert behalten, den es im Industriezeitalter hatte und heute in breiten Bevölkerungsschichten noch hat. Die Umwertung hat genau besehen schon vor einigen Jahrzehnten begonnen, spätestens am Ende des 20ten Jahrhunderts, als einige Umweltbewegte darauf aufmerksam machten, dass die Art, in der wir wirtschaften, unsere Umwelt, die Grundlage unserer Existenz, zerstört. Weniger Arbeit, so ihr damals eher albern und abseitig anmutendes Credo, könnte mehr Wohlbefinden für Alle bedeuten.

Flankiert wird dieses Bewusstsein heute von einer Generation, für die die Betonung der Work-Life-Balance keine arbeitsscheue Ausflucht a la Donald Duck mehr ist, sondern die veränderte Präferenz einer gebildeten Mittelschicht anzeigt. Das Barometer: Die stetig steigende Zahl an Teilzeit- Arbeitsverhältnissen.

Auch politisch vermittelt sich der schwindende gesellschaftliche Wert der Arbeit. In einigen marktwirtschaftlichen Gesellschaften ist die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen bereits eingeleitet. Eine arbeitslose Grundsicherung ist vermutlich der erste Schritt in eine Epoche, in der Arbeit grundsätzlich einen anderen Stellenwert als heute hat. Bislang müssen Gesellschaften zusätzlichen Arbeitseinsatz honorieren, um Wohlstandsziele erfüllen zu können. Je höher aber die Produktivität ist, desto weniger Arbeit ist vonnöten, um diese zu erreichen. Wer weiß, vielleicht sind wir nicht mehr weit von dem Punkt entfernt, an dem die Pole sich umdrehen: Wann wird der (natürliche?) Drang nach Arbeit größer sein als der Bedarf nach ihr? Statt für Arbeit bezahlt zu werden, muss man vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft zahlen, um arbeiten zu dürfen.

Es könnte damit schon bald auch in den Sozialsystemen zu Umwertungen kommen. Statt Mindestbeschäftigungszeiten als Anwartschaft, könnten Höchstgrenzen für den diskriminierungsfreien Zugang zu gesellschaftlichen Leistungen treten. Wer zu lange gearbeitet hat, erhält Rentenabschläge, keine Zuschläge mehr. Wer Arbeitsverträge von mehr als der gesellschaftlichen Regelarbeitszeit unterschreibt, kommt automatisch in eine höhere Steuerklasse usw..

Natürlich hat auch die demografische Entwicklung einen Einfluss. Mit einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau ändert sich vieles. Zum einen lösen sich Vermögen nicht mehr zwischen zu vielen Erben einer wachsenden Gesellschaft auf. Immer mehr Menschen werden ohne Arbeit gut leben können.  

Der wichtigste mittelfristige und aktuell spürbare Faktor der Demografie: Die neuen knappen Arbeitnehmer bekommen eine ganz andere Marktmacht als die Babyboomer auf dem Arbeitsmarkt, das zeigt sich gerade in den laufenden Tarifrunden und mündet in erheblichen Lohnsteigerungen. 

Und damit sind wir (endlich) bei dem Punkt, der die Investoren interessieren könnte: Die neuen Verhältnisse, die auf langfristigen demografischen, soziokulturellen und politischen Entwicklungen beruhen, bewirken eine durch steigende Löhne ausgelöste anhaltende Kosteninflation, die die Zentralbanken zu höheren Zinsen zwingt, gleichzeitig aber zu sinkenden Gewinnen und rezessiven Tendenzen führt. Diese Mischung kann für Börsen kaum förderlich sein.

 

Zurück