"Inflation wird noch andauern"
Interview Geldentwertung: „Die Inflation wird noch andauern“
Vermögensverwalter Winfried Walter über Inflation und steigende Zinsen, die schwierige Gemengelage an den Börsen und die Bedeutung von Diversifikation.
Winfried Walter ist Vorstand der Kölner Vermögensverwaltung Schneider, Walter & Kollegen. Der gelernte Broker und Portfolio‐Manager betreut seit drei Jahrzehnten Vermögen von privaten und institutionellen Kunden, insbesondere Stiftungen.
Herr Walter, 10 % Inflation im September, Krieg und Rezession. Es gab schon mal bessere Zeiten für die Geldanlage, oder?
Grundsätzlich bin ich Optimist. Aber aktuell sind die Belastungen schon extrem. Allerdings sind die Zeiten sogar so schlecht, dass sich am Ende der aktuellen Misere im historischen Vergleich äußerst günstige Anlagemöglichkeiten auftun werden –zumindest für einen langfristig ausgerichteten Investor.
Gibt es Problemfelder, die aus Ihrer Sicht schnell gelöst werden können?
Wohl eher nicht. Maßgeblich wäre es, diesen wahnsinnigen Krieg zu beenden. Er ist nicht die einzige Ursache, aber sicherlich der Auslöser für die extrem hohe Inflation. Selbst bei einem schnellen Kriegsende wären die marktbelastenden Faktoren nicht so ohne Weiteres schnell vom Tisch.
Wie lange wird uns die Inflation beschäftigen?
Die Explosion der Energiepreise stellt inzwischen sogar die Ölkrise der 70er-Jahre in den Schatten. Die Folgen kennen wir von damals – massive Stagflation, also Inflation bei wirtschaftlicher Stagnation, Lohn-Preis-Spiralen etc. Selbst ein wirtschaftspolitisches Großgewicht wie Helmut Schmidt hat mit seinen Freunden Valéry Giscard d’ Estaing und Henry Kissinger Jahre gebraucht, um die Volkswirtschaften wieder zu stabilisieren. Wie damals wird die Inflation noch andauern.
Kann eine Rezession in der westlichen Welt noch vermieden werden?
Ich glaube nicht, dass wir der Rezession entkommen können. Aber die Intensität und Dauer kann in den einzelnen Regionen durchaus unterschiedlich sein. Nach dem ersten Anschein könnte die Rezession in den USA am sanftesten ausfallen. Noch signalisieren volkswirtschaftliche Indikatoren, allen voran die Arbeitsmarktdaten, trotz eines massiven Zinsanstiegs eine halbwegs florierende Wirtschaft.
Und in Europa und speziell in Deutschland?
Europa als Gesamtheit ist sehr heterogen. Dementsprechend schwer tat sich lange Zeit die EZB mit konsequenten Zinserhöhungen. Auffallend ist schon jetzt der unterschiedlich starke Anstieg der Zinsen in den einzelnen Ländern. Aktuell liegen die Zinsen für zehnjährige Anleihen in Italien schon mehr als zwei Prozentpunkte über den deutschen. Das dürfte mittelfristig stark belasten. Deutschland als Exportnation wird mit derart hohen Energiepreisen in die Knie gezwungen. Zudem steigen die Löhne kräftig und die Lieferkettenprobleme aus der Pandemie bestehen zum Teil weiter. Ein knappes Jahr wird die Rezession, wenn sie dann richtig da ist, wohl anhalten.
Anleger hat es schwer erwischt: Wie sollen sie sich mit Blick auf die kommenden Monate aufstellen?
Wer einen hohen Cash-Anteil hat, soll sich freuen. Wichtig ist es, seine Hausaufgaben zu machen. Zunächst muss man sich die Frage stellen, ob alle aktuellen Portfolio-Titel dort auch verbleiben sollten. Anschließend können Investoren eine Kaufliste erstellen – mit Einzeltiteln und individuellen (Nach-)Kaufkursen. Ich gehe davon aus, dass der Frühling 2023 attraktive Kaufgelegenheiten für Langfristinvestoren bieten wird. Aber eines ist auch klar: Das Penicillin der Finanzmärkte ist weg. Die Politik des billigen Geldes dürfte für längere Zeit vorbei sein.
Wie wichtig ist Diversifikation im inflationären Umfeld?
Extrem wichtig: Mehr denn je gilt die Weisheit: „Lege nicht alle Eier in ein Nest.“ Dabei bedeutet Diversifikation für mich eine vernünftige Aufteilung der Portfolios unter drei Aspekten:
- Währungen: eine breite Streuung auf verschiedene Währungsräume: Euro, skandinavische Kronen, US- und Kanadischer Dollar, Schweizer Franken, Südkoreanischer Won und Indische Rupie.
- Branchen: keine Klumpenrisiken durch Konzentration auf wenige Branchen, sondern Investitionen in die jeweiligen (Welt-)Marktführer oder Marktführer in der Nische.
- Marktkapitalisierung: Klassische Bluechips, Mid Caps mit signifikanter Marktführerschaft und globale Titanen aus den Emerging Markets (z. B. Samsung Electronics) sollten gleichermaßen vertreten sein.
Eine solche dreidimensionale Betrachtung über die Ebenen Währungen, Branchen und Unternehmensgröße ist etwas aufwendig. Die Krisen 2000, 2008, 2020 und aktuell zeigen aber, dass derart diversifizierte Portfolios zu deutlich geringeren Rückschlägen führen.
Können Technologieaktien in diesem Zinsumfeld nachhaltig aufholen?
Ich glaube, dass die absoluten Dickschiffe der Hightech-Branche ihre Kurskorrektur noch nicht beendet haben. Langfristig dürften sie ihren Aufwärtstrend zwar wieder aufnehmen. Nur liegt dieser auch charttechnisch tiefer als das aktuelle Kursniveau. Deutlich schwieriger ist es für Hightech-Titel, die einen echten Wachstumspfad erst noch festigen oder gar erst erreichen müssen. Das zukünftige Zinsniveau wird für diese Titel Zukunftsinvestitionen in Wachstum und Forschung und Entwicklung deutlich teurer machen.
Welche Segmente sehen Sie positiv? Wachstumsaktien oder eher attraktiv bewertete Qualitätsaktien?
Geld und Ressourcen sind nicht mehr im Überfluss vorhanden. Genau das signalisiert ja der Zinsanstieg. In dieser Situation besinnen sich die Menschen auf eines der ältesten ökonomischen Prinzipien überhaupt: Sie suchen nach Qualität zu einem angemessenen Preis. Ein Blick auf das aktuelle Kaufverhalten im Supermarkt bestätigt das. Und dieses Prinzip gilt auch wieder vermehrt am Aktienmarkt. Deshalb erleben günstig bewertete Value-Aktien ein Comeback. Mittelfristig werden wieder Aktien mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen um die 15 am Markt besonders gefragt sein, nicht mehr die Hoffnungswerte mit dreistelligen KGVs.
Punkten Anleihen, wenn die Zinsen mittelfristig wieder sinken sollten?
Wenn uns nach der aberwitzigen Politik des billigen Geldes das Weltfinanzsystem nicht völlig um die Ohren fliegen soll, müssen die führenden Notenbanken länger an höheren Zinsen festhalten. Zinssenkungsfantasien habe ich vor diesem Hintergrund nicht. Im historischen Kontext sind sie ohnehin noch extrem niedrig: Unsere Eltern mussten ihre Häuser noch mit 10 % p. a. finanzieren und Ende der 1970er-Jahre hatten US-Bonds Kupons von 18 %.
Das heißt: Die Zinsen könnten noch weiter steigen. Ist Gold dann eine Anlagealternative?
Durchaus. Was wir seit 2008 an den Zinsmärkten gesehen haben, war eben nicht die „neue Normalität“, sondern der Overkill der Notenbanken. Jetzt müssen die Zinsmärkte erst einmal einen neuen Gleichgewichtszins ermitteln. Dieser Zins wird höher liegen als im vergangenen Jahrzehnt. Denn er muss eine vernünftige Prämie für den kontinuierlichen Wertverlust durch die Inflation und für das Investmentrisiko liefern. An diesem Zinsniveau werden sich dann auch die KGVs von Aktien orientieren. Aber dieser Prozess wird noch ein Weilchen anhalten – und so lange werden wir auch schwankende Märkte sehen. Gold gehört in einer solchen Situation als Beimischung in jedes Portfolio – in physischem Gold in kleineren Stückelungen oder als Gold-ETF.
Viele Anleger sitzen auf Cash, der durch die Inflation an Wert verliert. Lohnt sich ein „All in“ bei den stark gesunkenen Kursen? Oder sollte man lieber langsam per Sparplan einsteigen?
Natürlich verliert Cash bei einer Inflationsrate von nahezu 10 % massiv an Wert. Im gleichen Zeitraum haben aber Aktien im Schnitt gute 20 % verloren, Hightech-Titel und Mid Caps sogar noch deutlich mehr. Das Wichtigste bei der Kapitalanlage ist viel innere Ruhe. Wer seine Hausaufgaben gemacht hat und mithilfe von Bewertungsmodellen und Chartanalysen Kaufkurse definiert hat, kann diese sukzessive umsetzen. Ein „All in“ würde ich keinesfalls empfehlen. Dazu fehlt am Markt auch noch ein großer Ausverkauf, der alle zittrigen Hände auskehrt. Außerdem müssen die Unternehmen erst einmal plausible Ausblicke für 2023 kommunizieren. Beides, Ausverkauf und Ausblicke, haben wir bisher noch nicht gesehen.