Interview

Weiterhin Dynamik auf Fondsboutiquen-Markt

Redaktion -

Private Banker sprach mit Frank Eichelmann von Pro BoutiquenFonds über die Situation der Fondsboutiquen in Deutschland sowie über aktuelle Entwicklungen und Trends auf dem Markt der Boutiquenfonds

Private Banker: Gibt es die ideale Fondsboutique?

Frank Eichelmann: Am wichtigsten ist zunächst der Wunsch der Gründer nach Selbstbestimmung und die Umsetzung der eigenen unternehmerischen Vision. Das Wesentliche einer Boutique ist deren Unabhängigkeit, nicht die Größe. Wer eine Boutique gründet, möchte seine Ideen, Strategien und die eigene Investmentphilosophie in einem Fonds umsetzen, ohne beschränkende oder reglementierende Vorgaben aus dem Konzern. Das Ideal einer Boutique ist daher immer individuell, es ist das, was der jeweilige Unternehmer als seine „DNA“ definiert. Das ist jedoch keine statische Vorgabe, sondern eher ein Prozess. Wer eine Boutique gründet, hat eine Leitvorstellung und einen Plan. Aber die Reaktion des Marktes zwingt und motiviert auch zu Korrekturen und Veränderungen.

PB: Wie hat sich der Markt der Fondsboutiquen in Deutschland in den letzten Jahren verändert?

FE: Seit wir Daten zum deutschen Boutiquenmarkt analysieren, seit 2019, ist dieser kontinuierlich gewachsen. Das Volumen dieses Fondssegments vergrößerte sich zwischen Ende 2019 und Ende 2023 von 112 Mrd. auf 150 Mrd. Euro. In das Volumenwachstum geht zwar auch die Wertentwicklung ein, aber wir beobachteten in diesem Zeitraum auch einen kräftigen Zuwachs des Mittelaufkommens von rund 20 Mrd. Euro. Gerade größere unabhängige Boutiquen mit sehr guten Produkten partizipierten an dieser Marktentwicklung besonders.

Der relative Marktanteil der Boutiquenfonds am gesamten Fondsmarkt in Deutschland hat sich zudem erhöht. Im Mischfonds-Segment wuchs der Anteil der Boutiquenfonds dabei am stärksten: er kletterte von knapp über 20 Prozent in 2019 auf fast 26 Prozent in 2023.

PB: Gibt es auf dem Fondsboutiquen-Markt auch Umbrüche oder gar eine Marktbereinigung?

FE: Bei Fondsboutiquen verläuft die Entwicklung in Deutschland relativ stetig. Die Dynamik auf dem Fondsboutiquen-Markt ist sowohl aufwärtsgerichtet als auch ungebrochen. Wir können anhand unserer Daten im Markt auch keinen Konsolidierungstrend erkennen, wie er etwa derzeit am Markt der unabhängigen Vermögensverwalter zu beobachten ist. Während bei lizensierten Vermögensverwaltern die Zahl der Adressen langfristig leicht abgenommen hat, ist sie bei Fondsboutiquen kontinuierlich angestiegen.

PB: Wer sind die Kunden, die von Boutiquenfonds angesprochen werden? Inwiefern unterscheiden sie sich von jenen des Fondsgesamtmarktes?

FE: Die Kundenstruktur ist nicht so sehr viel anders als am Fondsmarkt allgemein. Aber es gibt schon einige Unterschiede. Wir finden unter den Kunden von Boutiquenfonds mehr Selbstentscheider, die auf der Suche nach guten Produkten sind. Boutiquenfonds sind bei den ganz großen institutionellen Anlegern insgesamt eher seltener gefragt. Gerade mittlere und größere Fondsboutiquen haben jedoch häufig eigene Kunden in der Direktbetreuung, darunter auch institutionelle Investoren.

Wir beobachten bei Vermögensverwaltern mit eigenen Boutiquenfonds zudem, dass der Anteil ihrer eigenen Fonds in den Kundenportfolios geringer ist als dies bei einer Bank der Fall ist, die Vermögen verwaltet: hier ist nämlich der Anteil der Produkte der eigenen Fondsgesellschaft in den Kundenportfolios häufig deutlich größer.  

PB: Sie schreiben im BoutiquenFonds Radar für Q4/2023, dass beim Mittelaufkommen in 2023 die Top-Ten-Fondsboutiquen andere sind als 2022. Was ist der Grund dafür?

FE: Ja, bei den Mittelzuflüssen unterschieden sich die Ranking-Tabellen der Top Ten der Fondsboutiquen der beiden Jahre 2022 und 2023 recht stark. Das ist ungewöhnlich, denn in den Jahren zuvor konnten sich deutlich mehr Boutiquen von Jahr zu Jahr konstant in den Top Ten halten. Die starke Änderung der Top Ten zwischen 2022 und 2023 hatte mit dem Wandel der nachgefragten Assetklassen als Folge steigender Zinsen zu tun. Wir sahen etwa bei Anleihekonzepten in den Vorjahren starke Abflüsse, 2023 beobachteten wir hingegen massive Zuflüsse aufgrund der gestiegenen Marktzinssätze. Gané kann sich als einziger großer Mischfondsanbieter erfolgreich unter den Top Ten halten und führt das 2023er-Ranking der Mittelzuflüsse an. Zugleich sind 2023 Top-Ten-Boutiquen der Vorjahre mit einer ausgeprägten Mischfondspalette weit abgefallen. Flossbach von Storch hatte beispielsweise 2023 kräftige Abflüsse bei seinen Flaggschiff-Fonds hinzunehmen und ist daher auf unserer Liste ganz hinten gelandet. Denn bei den Angaben zu den Mittelaufkommen handelt es sich um Absolutbeträge, nicht um Prozentsätze.

PB: Demzufolge reagieren Anleger mit ihren Käufen und Verkäufen schon deutlich auf den Markt. Gerade bei Mischfonds würde man jedoch eher erwarten, dass Anleger diesen Job dem Fondsmanagement überlassen, das sie extra dafür bezahlen.

FE: Unseren Daten kann man ganz gut entnehmen, dass Anleger häufig Fonds im Rückspiegel betrachten und daran dann ihre Anlageentscheidungen ausrichten. Sie neigen also dazu, in Fonds zu investieren, die in der jüngeren Vergangenheit sehr gut performten, und aus Fonds Gelder abzuziehen, bei denen es weniger gut lief. Weil im erwähnten Rückspiegel Anleihen an Attraktivität gewannen, waren Rentenfonds 2023 sehr gefragt. In den Jahren zuvor hatten Mischfonds die Nase vorne. 2022 beendete aber die Mehrheit dieser Fonds das Jahr ziemlich weit im Minus, weil sowohl Aktien- als auch Anleihekurse nachgaben. Das führte dann 2023 zu einem starken Mittelabfluss bei Mischfonds in Höhe von fast 3 Milliarden Euro.

Darin widerspiegelt sich psychologisch erklärbares, aber ökonomisch suboptimales Verhalten größerer Anlegergruppen. Sie orientieren sich häufig weniger an den Zukunftseinschätzungen, wie es Profis empfehlen, als vielmehr an der jüngeren Vergangenheit, wie es das Bauchgefühl einflüstert.

PB: Inwiefern spielen bei den Kauf- und Verkaufsentscheidungen der Anleger neben Assetklassen weitere „Kenndaten“ eine Rolle?

FE: Das Mittelaufkommen ist auch entscheidend von der Fondsqualität abhängig. Im Jahr 2023 sind den Boutiquenfonds, die ein Morningstar-Rating von 5 Sternen (über 5 Jahre) erhalten hatten, rund 2 Milliarden Euro zugeflossen. Bei allen anderen Rating-Kategorien – also 4 Sterne und weniger – sahen wir Abflüsse. Insgesamt zogen die Anleger im vergangenen Jahr 5,2 Mrd. Euro aus Boutiquenfonds ab. Im Jahr 2022 war das Mittelaufkommen ähnlich abhängig von der Performance, wenngleich die Beträge anders verteilt und insgesamt die Zuflüsse größer als die Abflüsse waren. Ein Unterschied in 2023 gegenüber den Vorjahren war außerdem: Bei Boutiquenfonds ohne Rating beobachteten wir erstmals Abflüsse. Dabei handelt es sich überwiegend um neu aufgelegte Fonds, häufig mit einem als vielversprechend bewerteten Ansatz. Weil ohne Rating der Rückspiegel in die Vergangenheit fehlt, sind Anleger hier allein auf ihre Zukunftseinschätzung angewiesen. Üblicherweise sammeln solche Fonds zum Start erfolgreich Gelder der Anleger ein und verzeichnen daher Mittelzuflüsse. 2023 sahen wir hier jedoch Mittelabflüsse. Das kann man als Indiz für gedämpfte Zukunftserwartungen werten.

PB: Was uns ein wenig wundert, ist der geringe Anteil von „Alternativen“ von 4 Prozent am Gesamtvolumen aller Boutiquenfonds. Hier könnten doch Manager mit Informationsvorteilen am ehesten Extraerträge erzielen.

FE: Ja, der Anteil des alternativen Boutiquenfonds-Volumens ist nicht sehr hoch. Wir registrierten hier 2023 einen deutlichen Mittelabfluss, der besonders in Relation zum geringen Volumen recht groß ist.

Die Allokation in alternative Segmente war vielfach für Anleger in der Vergangenheit nicht erfolgreich. Das hat verschiedene Gründe. Eine generelle Schwierigkeit resultiert aus den erheblichen Informationsasymmetrien zwischen Fondsmanagement und Kunden. Das kann sich in der Kommunikation mit Anlegern als problematisch erweisen. Läuft es gut, wird das Ergebnis als selbstverständlich registriert. Läuft es schlecht, müssen sich Fondsmanager vor unzufriedenen Kunden mit hohen Erwartungen rechtfertigen. Aufgrund der geringen Transparenz und der oftmals komplizierten Struktur alternativer Produkte kommt es häufiger zu Verständnis- und Vertrauensproblemen. Anleger lösen diese Probleme dann vielfach durch Exit.

Hinzu kommt eine große Zahl von Strategien, von denen die meisten in der jüngeren Vergangenheit enttäuschten. Vereinzelt gibt es zwar gute Manager, aber für Fondsselektoren ist es nicht einfach, die guten Strategien zu identifizieren. Allerdings können sich insbesondere alternative Strategien, die für Kunden gut nachzuvollziehen sind, wie z.B. Long-Short-Strategien auf Aktien oder einfach strukturierte optionsbasierte Konzepte, positiv abheben und mit einer guten Produktqualität bei Anlegern punkten. Dies zeigt auch der große Erfolg des Newcomers Empureon, der 2023 aus dem Stand mehr als 300 Mio. Euro an Neumitteln bei Anlegern einsammeln konnte.

Schließlich spielen auch Mentalitätsunterschiede auf dem Kapitalmarkt eine Rolle. In Deutschland sind Privatanleger gegenüber alternativen Anlagen reservierter als in anderen Ländern. In der Schweiz haben Anleger etwa zu Hedgefonds eine deutlich stärkere Affinität.

PB: Wie sieht es mit einzelnen Themen aus, beispielsweise mit Nachhaltigkeit, der in letzter Zeit nicht mehr die ungetrübte Investorenfreude entgegengebracht wird?

FE: Nachhaltigkeit ist auch für Fondsanbieter unattraktiver geworden. Gründe hierfür sind unter anderem haftungsrechtliche Aspekte, die ausufernde Regulatorik und eine hochgradig formalistische Nachhaltigkeitskontrolle, was die Pflege von extrem teuren Datenbanken erfordert, die schon mal 100.000 Euro für einen Assetmanager kosten können. Dieser Aufwand ist nur bei ausreichend großen Mandaten zu rechtfertigen. Etliche Boutiquenfondsanbieter haben daher ihre Artikel-8-Fonds in Artikel-6-Fonds umgewandelt. Nachhaltigkeit gehört unseres Erachtens nicht zu den ganz großen Trends der Zukunft.

PB: Welche anderen Fondsthemen oder -konzepte halten Sie im Boutiquenbereich derzeit für aussichtsreich?

FE: Themen zu identifizieren ist derzeit nicht ganz einfach. Es besteht ein breites Angebot, aber man muss einfach auch konstatieren, dass der Risikoappetit der Anleger aktuell nicht sehr groß ist.

Unabhängig davon glaube ich jedoch, dass für die gezielte Auswahl von Aktien im europäischen Small / Mid Cap-Segment gute Gelegenheiten bestehen. Zwar sind viele Anleger skeptisch eingestellt, weil Small Caps in jüngerer Zeit unterdurchschnittlich performten. Aber in der langen Frist schneiden Small Caps überdurchschnittlich ab, so dass hier für Stock Picker Chancen bestehen.

Ein weiteres Themenfeld werden in jedem Fall spezielle Zinsstrategien sein, da tut sich einiges, hier besteht also ebenfalls Potential.

Mit positiven Erwartungen blicke ich vor allem seit dem Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung am 10.01.2024 auf ELTIF-Strukturen, die für spezialisierte Boutiquen Sinn machen können. Hier bestehen Möglichkeiten, illiquide mit liquiden Ansätzen zu kombinieren und eine höhere Konzentration der Investments in einem Fondsrahmen umzusetzen.

PB: Zum Abschluss noch die Gretchenfrage: Wie schneiden Boutiquenfonds im Vergleich mit anderen Fonds ab? Gibt es überhaupt wissenschaftliche Studien zur Boutiquenfonds-Performance?

FE: Ja, die gibt es. Eine methodisch sehr elaborierte Studie hat im Jahr 2020 der britische Finanzwissenschaftlicher Andrew Clare von der Bayes (ehemals Cass) Business School veröffentlicht („Is there a Boutique Asset Management Premium?“). Clare kann zeigen, dass es ein europäisches Boutiquen-Alpha bezogen auf eine Fonds-Peergroup gibt, das insbesondere für europäische Mid/Small Caps und Schwellenländer signifikant ist.

Auch wir haben, allerdings mit einem einfacheren Verfahren als Clare, eine Untersuchung zu Mischfonds durchgeführt. Wir konnten ebenfalls eine Outperformance von Boutiquenfonds relativ zur Peergroup feststellen. Über 5 Jahre ergab sich in 6 von 8 Unterkategorien für die Boutiquenfonds eine Mehrperformance von bis zu 2,1 Prozent p.a.

Last but not least stellen wir aktuell unsere Daten für eine Masterarbeit zur Verfügung, die gleichfalls der Performance von Boutiquenfonds nachgeht. Sobald die Arbeit abgeschlossen ist, werden wir Sie über die Studienergebnisse informieren.

PB: Vielen Dank dafür und für das Gespräch.

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