Sozio-oekonomisches Panel

Hochvermögende neu vermessen

Lutz Siebentag -

 

Zur Studie „Verbesserung der Forschungsdateninfrastruktur im Bereich Hochvermögender mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP)“

Hochvermögende entzogen sich lange dem Röntgenblick der Sozialwissenschaften. Trotz Dauerpräsenz der Reichen in öffentlicher Kommunikation und Phantasie wusste die Wissenschaft lange Zeit wenig Genaues bzw. genauer gesagt: ziemlich wenig. Regelmäßig herausgegebene Wealth Reports halfen auch nicht richtig weiter, da ihnen die Methodenstrenge wissenschaftlicher Publikationen und deren thematische Vernetzung in Bezug auf den Stand der Forschung fehlt. Angestoßen u.a. durch Verteilungsdiskussionen seit der Finanzkrise und teilweise auch von politischer Seite, veränderte sich jedoch im vergangenen Jahrzehnt die Forschungslage stetig: die obersten 1 oder 0,1 oder 0,01 Prozent gerieten vermehrt ins Fadenkreuz des universitären Erkenntnisinteresses. Piketty ist nur der prominenteste Forscher dieser Akademikergruppe – wohl nicht, weil er sich zugleich, wie viele seiner Kollegen, in die Tradition der Kapitalismuskritik stellte, sondern weil es ihm gelang, mit seinen Büchern zur rechten Zeit (nach der Finanzkrise) am richtigen Ort (USA) für Furore zu sorgen.

In Deutschland gibt es gleichfalls eine neuere Reichtumsforschung – wir berichteten im Private Banker schon öfters darüber – die ist aber weniger spektakulär als die mit Piketty und seinen Mitstreitern verbundene. Sie ist auch nicht primär politökonomisch-mathematisch-ideologiekritisch ausgerichtet, sondern eher soziologisch-empirisch. Zuletzt besprachen wir in diesem Zusammenhang im Private Banker die zweite Dissertation des gelernten Historikers Zitelmann, der sich – anders als Piketty – als vom Kapitalismus positiv Betroffener ganz affirmativ und ohne falsche Scham offensiv zu diesem Wirtschaftssystem bekennt. Zitelmanns soziologisch-psychologische Untersuchung Hochvermögender (insbesondere aus der Immobilienwirtschaft) profitierte denn auch von seiner Zugehörigkeit zu diesem Segment, weil die für Forscher sehr hohe Zugangsschwelle weg- oder zumindest deutlich niedriger ausfiel.

Im Folgenden stellen wir einige auch für Vermögensverwalter interessante Ergebnisse einer neuen empirischen Studie vor. Deren Working-Paper-Version ist etwas umständlich betitelt: „Verbesserung der Forschungsdateninfrastruktur im Bereich Hochvermögender mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP)“. Die Studie wirft nach Eigenaussage einen repräsentativeren Blick auf Hochvermögende in Deutschland als bisher möglich war.

  

Das Sozioökonomische Panel (SOEP) ist in Deutschland das renommierteste sozialwissenschaftliche Datenerhebungsinstrument, das zur periodischen Befragung ausgewählter Haushalte genutzt wird. Dabei wird ein breites Spektrum ökonomischer, soziologischer und auch psychologischer „Kenngrößen“ abgefragt. Auf der Homepage des SOEP, das vom DIW in Berlin betreut wird, lesen wir: „Die Forschung der WissenschaftlerInnen am SOEP untersucht den Wandel in unserer Gesellschaft. Sie geht der Frage nach, wie gesellschaftliche Ressourcen verteilt sind.“ Darüber hinaus interessiert man sich dafür, wie sich die Lebensbedingungen „auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen auswirken und welche Rolle die Persönlichkeit im Lebensverlauf spielt.“ Das seit 1984 betriebene SOEP erhebt den Anspruch, die Bevölkerung in Deutschland repräsentativ abzubilden. Zumindest für eine Bevölkerungsgruppe gelang dies aber bisher nicht ganz so gut: die Gruppe der Hochvermögenden. SOEP-Wissenschaftler beklagen schon lange eine Lücke ihrer Daten in diesem Vermögensbereich, die verschiedene Ursachen hat. Die erwähnte, Ende Mai 2020 als Working Paper (Link siehe am Ende dieses Beitrags) veröffentlichte Studie einer SOEP-Projektgruppe unter der Leitung des Berliner (FU) Volkswirtschaftsprofessors Carsten Schröder möchte diese Lücke reduzieren. Dazu mussten die SOEP-Forscher sich eines Tricks bedienen und in einem ersten Schritt eine andere Datenquelle anzapfen. Ausgehend von dem weltweit bestätigten Befund, dass der überwiegende Teil der Hochvermögenden an Unternehmen beteiligt ist, wurden über eine Unternehmensdatenbank 1,7 Mio. Namen und Adressen von in Deutschland lebenden Personen mit „nennenswerten“ Unternehmensanteilen identifiziert. Davon wurden die 600.000 Personen mit den höchsten Anteilen ausgewählt. Diese Gruppe diente der Studie als Grundgesamtheit. Davon wurde eine repräsentative Auswahl angeschrieben, um einen SOEP-Fragenkatalog zu beantworten. Diese Gruppe wird in der Studie als SOEP-TS (Top-Shareholder-Stichprobe) bezeichnet, wir verwenden der Kürze halber die Abkürzung STS.

 

Der Ergebnisteil der Studie, der sich mit verschiedenen Befunden in Abhängigkeit vom Vermögensumfang befasst, ist zweifach differenziert. Zum einen werden die „konventionellen“ SOEP-Daten mit den STS-Daten verglichen. Zum anderen werden SOEP und STS-Daten integriert und im Hinblick auf unterschiedliche Vermögensklassen analysiert. Ein Vergleich von SOEP und STS zeigt zum Beispiel, dass das Nettomedianvermögen im SOEP bei 20.000 Euro liegt, im STS bei 690.000 Euro. 45 Prozent der Ankerpersonen im STS verfügen über ein individuelles Nettovermögen von mindestens 1 Millionen Euro, wohingegen es im SOEP nur 1 Prozent sind.  Im Folgenden wollen wir uns aber nicht schwerpunktmäßig mit diesem Vergleich beschäftigen, sondern vor allem mit den Ergebnissen der integrativen Variante, d.h. der Erweiterung des SOEP um die STS-Daten (SOEP+STS).

Mit der Integration der STS-Daten ändert sich für die untere Hälfte der Verteilung nichts, aber die Vermögenskonzentration ganz oben nimmt zu. Die Zahl der Millionäre in Deutschland erhöht sich in SOEP+STS von 317 (SOEP) auf 1198.

 

Die Studienautoren differenzierten vier Vermögensgruppen. Erstens die unteren 50 Prozent (d.h. alle Personen unterhalb des Medians), die wir im Folgenden G1 nennen. Diese Gruppe verfügt im integrierten Schema (SOEP+STS) über ein individuelles Nettovermögen von bis zu 23.000 Euro (das ist also die obere Grenze). Das ist dann auch der Medianwert des Vermögens aller Befragten. Zweitens die oberhalb der Mitte gelegenen 25 Prozent, die vom Median bzw. 50. bis zum 75. Perzentil reichen, die wir im Folgenden als G2 bezeichnen. Diese Gruppe verfügt über ein Vermögen von bis zu 126.000 Euro. Drittens die Gruppe der „oberen 24 Prozent“ vom 75sten Perzentil bis zum 98,6 sten Perzentil, die wir als G3 bezeichnen. Bei dieser Gruppe liegt die obere Grenze des Vermögens bei 1 Mio. Euro. Schließlich viertens die obersten 1,4 Prozent der Erfassten, bei denen die untere Grenze des individuellen Nettovermögens bei 1 Mio. Euro liegt. Diese Gruppe bezeichnen wir als G4. Im Bedarfsfall geben wir weitere Gruppen an, die wir nach dem Perzentil bezeichnen: so hat etwa das 99ste Perzentil (P99) ein Vermögen 1,33 Mio. Euro, das 99,9ste Perzentil eines von 5,49 Mio.

 

Finanzspezifische Unterschiede der Vermögensgruppen

 

SOEP (und STS) verwendet ein breites Vermögenskonzept. Eingeschlossen in die Vermögensberechnung sind neben Geldanlagen und Versicherungen auch Sachgüter eines Haushalts, Immobilien und Betriebsvermögen.

Die Forscher errechneten für SOEP+STS aus den Angaben der Befragten die durchschnittlichen Vermögensgrößen in den einzelnen Vermögensgruppen und zwar das Brutto- und das Nettovermögen (nach Abzug von Schulden). Das Ergebnis in Euro:

G1: 11.139 (Brutto) / 3.682 (Netto);

G2: 96.395 / 73.899;

G3: 327.690 / 297.004;

G4: 3.126.997 / 2.941.882

 

Betrachtet man nur die für eine Vermögensverwaltung interessanten Netto-Geldvermögen in Euro, dann ergeben sich deutlich niedrigere Werte.

G1: 1.614;                

G2: 12.657;            

G3: 38.519;

G4: 333.480

 

Die Vermögens-Millionäre (G4) des SOEP+STS sind bei Betrachtung der Netto-Geldvermögen jedenfalls im Durchschnitt keine Millionäre mehr, der Mittelwert befindet sich somit deutlich unter der HNWI-Schwelle.

Die große Diskrepanz liegt an den mitberechneten Immobilienwerten und insbesondere bei der Gruppe der Vermögensmillionäre am Betriebsvermögen. Insgesamt zeigt sich auch zur Überraschung der Studienautoren, dass selbst bei der STS-Population, also den Top-Shareholdern, der Anteil von Finanzanlagen am Vermögen vergleichsweise gering ist. Im Durchschnitt entfällt bei dieser Gruppe ungefähr die Hälfte des Vermögens auf Betriebsvermögen, Finanzanlagen machen nicht einmal ein Zehntel aus.

 

Die Studienautoren errechneten für SOEP+STS zudem die monatlichen, äquivalenten Netto-Haushaltseinkommen. Das Ergebnis: G1: 1.900 Euro; G2: 2.200 Euro; G3: nicht ganz 2.500 Euro; G4: 7.600 Euro.

Sodann wurden Spar- bzw. Geldanlagemotive und die zugordneten Anlagebeträge erfragt.

Bei den Geldanlagemotiven unterscheidet das SOEP+STS zwischen Vermögens- und Vorsorgemotiv.

Aus dem Vermögensmotiv heraus sparen: G1: 33%; G2 und G3: 37%; G4: 49%. Offenbar nimmt das Vermögensmotiv mit dem Vermögen bzw. mit dem Einkommen zu.

Aus dem Vorsorgemotiv heraus sparen: G1: 62%; G2: 67%; G3: 24%; G4: 58%.

Während also das Vermögensmotiv als Grund für das Sparen mit zunehmendem Vermögen bedeutsamer wird, folgt das Vorsorgemotiv keiner linearen Struktur.

 

Die Studienautoren untersuchten nun für SOEP+STS die bedingten jährlichen Anlagebeträge. D.h. die Anlagesumme unter der Voraussetzung, dass das entsprechende Motiv angegeben wurde.

Unter der Voraussetzung, dass Befragte für die Vermögensbildung anlegen, ergeben sich folgende Durchschnittsbeträge pro Jahr: G1 (340 Euro jährlich); G2 (400 Euro); G3 (675 Euro); G4 (3000 Euro). Die Differenz zwischen den drei „unteren“ Vermögensgruppen und der obersten Vermögensgruppe ist erwartungsgemäß deutlich. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, ist das Größen-Muster bei der Geldanlage, die vom Vorsorgeziel her motiviert ist: G1 (320 Euro jährlich); G2 (380 Euro); G3 (560 Euro); G4 (1.500 Euro).

Insgesamt zeigt sich: Netto-Vermögens-Millionäre legen in absoluten Zahlen weitaus höhere Beträge an. Relativ betrachtet verwenden sie zudem deutlich mehr ihres Einkommens für Vermögensbildung als Personen in den drei anderen Gruppen. Die Sparquote steigt von 11% (G1), über 12% (G2) und 16% (G3) auf knapp 21% (G4).

 

In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich von SOEP ohne STS und STS allein – also der Gruppe von Personen mit nennenswerter Unternehmensbeteiligung – im Hinblick auf ausgesuchte Perzentile gerade im oberen Vermögensbereich instruktiv. Tabelle 1 zeigt die Nettovermögen und die bedingten jährlichen Anlagebeträge, differenziert nach Motiv, in Abhängigkeit vom Perzentil. 

 

Tabelle 1 (Angaben in Euro)

 

SOEP (ohne STS)

STS (Top-Shareholder)

 

Netto-vermögen

Vermögens-sparen p.a.

Vorsichts-sparen p.a.

Netto-vermögen

Vermögens-sparen p.a.

Vorsichts-sparen p.a.

P50

22.000

250

250

752.005

1.000

500

P75

123.620

500

500

1.800.000

2.000

1000

P90

265.000

1.000

1.000

4.315.000

4.000

2500

P95

407.700

1.500

1.200

6.810.000

5.000

4000

P99

1.050.000

4.000

2.500

39.724.100

20.000

10.000

P99,9

4.019.000

12.000

5.000

104.050.000

150.000

35.000

 

Quelle: Studie, Link siehe unten

 

 

 

Soziologische und psychologische Merkmale der Vermögensgruppen

Das SOEP interessiert sich auch für die „weicheren“ Faktoren, also für die Sozial- und Persönlichkeitsstruktur der Befragten. Gibt es hier Unterschiede zwischen den Vermögensgruppen?

Zunächst zur sozialen Zusammensetzung der Vermögensmillionäre in Deutschland: sie sind überwiegend männlich, haben einen höheren Bildungsabschluss und ein höheres Alter als der Durchschnitt und leben häufiger in Westdeutschland. Sind die Millionäre berufstätig, dann sind sie häufig selbständig oder unternehmerisch tätig, üben vielfach Führungsfunktionen aus und sind Geschäftsführer oder Gesellschafter. Sie sind überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem Leben.

Das SOEP stellt zudem Fragen zu Merkmalen der Persönlichkeit. Eine gewisse Einschränkung der Aussagekraft ist sicher, dass die Befragten eine Selbsteinschätzung abgeben müssen, so dass eine objektivierende Kontrolle fehlt. Die Fragen orientieren sich am verbreiteten Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie, den Big Five, die auch schon Zitelmann im Rahmen seiner Dissertation abfragte. Die Big Five sind: Offenheit für Erfahrungen; Gewissenhaftigkeit; Extroversion; Verträglichkeit und Neurotizismus. Für die Selbsteinschätzungen wird eine siebenstufige Skala zwischen 1 (trifft überhaupt nicht zu) und 7 (trifft voll zu) verwendet. Darüber hinaus mussten die Befragten ihre Risikofreudigkeit auf einer Skala von 0 bis 10 (maximales Risiko) taxieren.

Im Hinblick auf die Merkmale Gewissenhaftigkeit, Extroversion und Offenheit ergaben sich keine systematischen Unterschiede zwischen den Vermögensgruppen gemäß SOEP+STS. Jedoch war bei Personen mit höherem Vermögen im Durchschnitt auch der Wert für Neurotizismus höher, während Verträglichkeit mit dem Vermögen negativ korrelierte. Diese Differenz ist noch größer, wenn man das herkömmliche SOEP für sich nimmt und mit dem STS-Ergebnis vergleicht: Denn die Befragten des STS sind deutlich unverträglicher und auch etwas neurotischer als die SOEP-Population, während sie bei Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion etwas höhere Werte erzielen. Vergleicht man die Items innerhalb der STS-Gruppe, dann ist Verträglichkeit deutlich schwächer ausgeprägt als die anderen Persönlichkeits-Merkmale, zugleich ist Neurotizismus schwächer ausgeprägt als Gewissenhaftigkeit (stärkste Ausprägung), Offenheit und Extraversion. Interessant ist hier der Vergleich mit der Untersuchung von Zitelmann, der Personen ab 10 Mio. Euro Vermögen untersuchte: bei diesen Hochvermögenden war im Vergleich der einzelnen Merkmale gleichfalls „Verträglichkeit“ und insbesondere „Neurotizismus“  relativ gesehen schwächer ausgeprägt (Zitelmann hatte aber keine Vergleichsgruppe mit weniger Vermögenden), woraus er schloss, dass der geringere Neurotizismus eine Voraussetzung sei, unternehmerischer Rückschläge einstecken zu können.  

Beim Risiko schätzen sich in der SOEP+STS-Befragung die Millionäre deutlich risikogeneigter ein, als dies bei den anderen Vermögensgruppen der Fall ist; Millionäre sind beim Risikorating 8, 9 und 10 deutlich überrepräsentiert. Auch dies entspricht verbreiteten Erwartungen. Zitelmann fand in seiner Studie, dass Risiko altersabhängig ist: am Anfang war die Risikobereitschaft in der von ihm untersuchten Gruppe groß; nach Stabilisierung des Vermögens und mit dem Alter ging sie deutlich zurück.

 

Link zur Studie: „Verbesserung der Forschungsdateninfrastruktur im Bereich Hochvermögender mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP)“

https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.790677.de/diw_sp1084.pdf

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