Kolumne Steuern und Regulierung

Haftungsdächer und vertraglich gebundene Vermittler bei Wertpapierinstituten

Jürgen App -

Zusammenwirken von Haftungsdach und vertraglich gebundenen Vermittlern

Das Haftungsdach, auch bekannt als Tied Agent-Modell, ist ein Vertriebsmodell für Finanz- bzw. Wertpapierdienstleistungen. Unter einem Haftungsdach versteht man eine Organisationsstruktur, in der ein unabhängiger Finanzberater als sog. tied agent  bzw. vertraglich gebundener Vermittler (vgV) mit einem Haftungsdach im Hinblick auf den Produktvertrieb verbunden ist. Der vgV ist nicht angestellt, sondern arbeitet auf selbständiger Basis.

Das Haftungsdach-Modell hat den Vorteil, dass der vgV ohne eine eigene aufsichtsrechtliche Erlaubnis von dem aufsichtsrechtlichen Status, der Infrastruktur und dem Support des Haftungsdaches profitieren kann. Er hat Zugang zu Schulungen, Produkten und Kundendaten und kann ggf. auch die Marke des Haftungsdaches nutzen. Gleichzeitig bleibt er jedoch rechtlich weitgehend eigenständig und unabhängig in seiner Beratungstätigkeit.

Für das Haftungsdach bietet das Modell den Vorteil, über eine Umsatzbeteiligung Erträge zu generieren, seinen Vertrieb auszubauen und/oder mehr Berater bzw. Vermittler für den Vertrieb seiner Produkte zu gewinnen.

Entwicklung des Geschäftsmodells in den vergangenen Jahren

Ausweislich der vorliegenden statistischen Daten ist das Geschäftsmodell bei Wertpapierinstituten in den vergangenen Jahren deutlich rückläufig gewesen:

Sowohl bei Haftungsdächern als auch bei vgVs ist insgesamt von 2018 bis 2022 ein signifikanter Trend des Rückgangs der Marktteilnehmer festzustellen; lediglich in 2022 hat sich die Zahl der Haftungsdächer im Vergleich zum Vorjahr erstmals wieder minimal erhöht. Die Zahl der Haftungsdächer hat sich im Zeitraum 2018 bis 2022 von 183 auf 162, die der vgVs von 23.300 auf 19.285 reduziert. Die durchschnittliche Zahl der vgV je Haftungsdach hat sich im gleichen Zeitraum von 127 auf 119 reduziert. Zu beachten ist allerdings, dass der Großteil der vgV bei wenigen großen Haftungsdächern angesiedelt ist. Grund für den tendenziellen Rückgang des Geschäftsmodells dürften unter anderem die erhöhten regulatorischen Anforderungen sein. Allerdings bestehen auch Gegenbewegungen, z.B. dadurch, dass in Folge des Brexits Vertriebe mit UK-Hintergrund in Deutschland über ein Haftungsdach organisiert wurden.

Risiken für Haftungsdächer und vgVs

Im Haftungsdach-Modell bestehen einige Herausforderungen und Risiken. Zum einen besteht die Gefahr von Interessenkonflikten. Die vgV sind ggf. in ihrem Produktspektrum eingeschränkt. Ein weiteres Risiko besteht in der Haftung des vgV. Da er juristisch eigenständig ist, haftet er ggf. auch für Beratungsfehler. Dies kann zu Schadenersatzforderungen führen. Daher ist es wichtig, dass der vgV über ausreichende Versicherungen verfügt und dass auch das Haftungsdach angemessene Vorkehrungen trifft, um das Risiko zu begrenzen.

Für das Haftungsdach bestehen daneben vor allem aufsichtsrechtliche Risiken, die zu Reputationsrisiken und Gefährdung des aufsichtsrechtlichen Status führen und ggf. ebenfalls auch in zivilrechtliche Risiken (Schadenersatzforderungen) münden können. Für eine effektive Kontrolle sind auskömmliche Ergebnis-Margen für das Haftungsdach erforderlich, was vereinzelt, insbesondere bei nachhaltig geringer Umsatztätigkeit der vgV, ein Problem darstellt.

Erfahrungen aus der Prüfungspraxis

In der Prüfungspraxis ist die aufsichtskonforme Betreuung der vgV durch das jeweilige Haftungsdach ein zwingender Prüfungsbereich, der häufig auch zu Prüfungsfeststellungen führt. Nachfolgend sind einige typische Prüfungsfeststellungen sowohl aus dem Bereich des vgV-Onboarding als auch aus dem laufenden Geschäftsbetrieb aufgeführt:

Typische Prüfungsfeststellungen vgVs

· Keine oder verspätete Anzeige im vgV-Register der BaFin

· Keine oder verspätete Anzeige im Anlageberater-Register der BaFin

· Defizite bei Vertragsregelungen mit vgV: kein oder verspäteter Vertrag, vereinbartes Aufgabenspektrum entspricht nicht der Realität, aufsichtsrechtliche Anforderungen unzureichend geregelt

· Unzureichende Einbindung in Internes Kontrollsystem des Haftungsdachs – vor-Ort-Prüfungen generell durch BaFin gefordert, je nach Art des Geschäfts in der Praxis jedoch schwierig

· Website-Inhalte des vgV nicht anforderungskonform

   - vgV-Eigenschaft, Angabe Haftungsdach

   - Angaben Produktinformationen für an Privatkunden gerichtete Informationen nicht MaComp-konform

·Netto- statt Bruttoverbuchung von Umsätzen beim Haftungsdach

 

Zusammenfassung

Insgesamt ist das Haftungsdach-Modell ein regulatorisches Modell, mit dem beabsichtigt wird, die Vertriebsmöglichkeiten von Finanzprodukten zu erweitern. Es bietet Vorteile für sowohl die vgV als auch für die Haftungsdächer, birgt aber auch Risiken und Herausforderungen. Das Modell ist in den vergangenen Jahren bei Wertpapierinstituten allerdings von tendenziell rückläufiger Bedeutung.

Eine gute Aufsicht und Kontrolle sowie eine klare Regelung der Haftungsfragen können dazu beitragen, die Nachteile des Modells für alle Beteiligten zu minimieren und auch die Interessen der Kunden zu schützen.

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