Forschungsüberblick

Künstliche Intelligenz im Asset Management

Lutz Siebentag -

Eine CFA-Studie von Söhnke M. Bartram, Jürgen Branke und Mehrshad Motahari gibt Auskunft über den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Asset Management.

 

2020 erschien eine CFA-Studie von Bartram, Branke und Motahari mit dem Titel „Artificial Intelligence in Asset Management“. Sie gibt einen literaturgesättigten Überblick über Anwendungen von Künstlicher Intelligenz im Management von Portfolios, im Wertpapierhandel und beim Risikomanagement. Auch wenn sich das Rad der Zeit bei KI und Finanzen rascher zu drehen scheint als bei einer gewöhnlichen Küchenuhr, dürfte ein Blick in die Studie, den wir sehr empfehlen, immer noch ein gutes Bild der KI-Gegenwart im Asset Management vermitteln, denn manches im Buch war auch Zukunftsmusik. Zudem enthält das 100seitige e-Buch fast 50 Seiten Kurzusammenfassungen / abstracts von einer Vielzahl von Studien zum Thema.

Die Autoren führen die wachsende Popularität von Künstlicher Intelligenz in der Finanzbranche auf drei technisch-informatorische Entwicklungen in den Bereichen Hardware, Datenmengen und Algorithmen in den 2010er Jahren zurück: Die Prozessorleistung und Speicherkapazität von Computern habe sich weiter stark erhöht; das verfügbare Datenvolumen sei in Breite und Tiefe massiv angewachsen; KI-artige Algorithmen seien weiterentwickelt worden und nun vielfach auch von Anwendern zu bedienen, die nicht zum erlauchten Kreis der KI-Experten zählen.

Die Autoren um Bartram unterscheiden in ihrer Untersuchung sieben verschiedene KI-Konzepte, die im Finanzbereich insbesondere für Klassifikation, Vorhersage, Optimierung und Textanalyse immer beliebter werden und teilweise auch schon eine Erfolgsgeschichte hinter sich haben.

 

Die sieben KI-Ansätze sind

1)         Künstliche Neuronale Netzwerke / Artificial Neural Networks  (ANN)

2)         Entscheidungsbäume und Random Forests

3)         Support Vector Machines (SVM)

4)         LASSO-Regressions-Analyse

5)         Cluster-Analyse

6)         Evolutionäre Algorithmen

7)         Computerlinguistik bzw. Natural Language Processing (NLP)

 

Wir gehen an dieser Stelle aus Raumgründen nicht näher auf diese Verfahren ein, kurze Beschreibungen finden sich in der Studie (vor allem: Appendix A. Basic Artificial Intelligence

Concepts and Techniques, S. 30 ff), auf die wir am Ende des Artikels verlinken, oder auch in einschlägigen Wikipedia-Artikeln. Im Folgenden geben wir einen kurzen, gerafften Überblick über die Überblickstudie, ignorieren aber den Teil zu Robo-Advisors.

 

Portfolio Management

Im Portfolio Management hat der Einsatz von KI letzten Endes zum Ziel, Erträge bzw. Erwartungswerte, Varianzen und Kovarianzen präziser zu schätzen – in der berechtigten Hoffnung, auf dieser Basis höheres Alpha zu erzielen.

Ein Bereich, in dem die Erwartungen an KI besonders groß sind, ist die qualitative Fundamentalanalyse: KI soll aus Texten ökonomisch bedeutungsvolle Informationen extrahieren, die in quantitativer Form nicht bereits vorliegt, und das soll mit Hilfe der Computerlinguistik (Natural Language Processing / NLP) bewerkstelligt werden.

Eine klassische Aufgabe der quantitativen Analyse besteht darin, aus einer Vielzahl von oft stark korrelierten Rendite-Signalen in einem Datenausschnitt Faktoren mit der höchsten Erklärungskraft herauszufiltern. Hierzu eignet sich die LASSO-Regressionsanalyse in ihren verschiedenen Varianten besonders. Sie ermöglicht u.a. die Bestimmung von Lead-lag-Verhältnisse zwischen Märkten/Assetklassen oder die Identifikation von über- oder unterperformenden Aktien.

Ertragschancen können auch über firmenspezifische Informationen prognostiziert werden, etwa indem Analystenempfehlungen (die z.B. zuvor einem NLP-Verfahren unterzogen worden sind) zum Training von KI-Algorithmen verwendet werden. Das erlaubt es, auf lange historische Reihen zu verzichten – was von großem Vorteil ist, wenn diese gar nicht vorhanden sind.

Zur Renditeprognose scheinen Studien zufolge vor allem Neuronale Netzwerke (ANN) sehr gut geeignet zu sein. Das liege, so die Studienautoren, an deren Fähigkeit, komplexe nichtlineare Zusammenhänge zu erfassen und beim Lernen zugleich auf eine Vielzahl funktionaler Formen und Strukturen zurückgreifen zu können. ANN sei aktuell das populärste KI-Verfahren, um Aktien-Renditen vorherzusagen. Support Vector Machines (SVM) seien aber möglicherweise noch besser geeignet, Erwartungswert und Varianz vorherzusagen.

Eine weitere KI-Anwendung sind Modellierungen und Prognosen im Derivate-Segment. Hier dominiere noch immer Black Scholes. KI könne jenseits der Restriktionen des Black-Scholes-Modells Prognosen fabrizieren durch parameterfreie Modelle zur Optionspreisschätzung und etwa auch amerikanische oder exotische Optionen bepreisen.

Ein weiteres Aufgabenfeld von KI ist die Verbesserung der modernen Portfoliotheorie der Marke Markowitz. Beispielsweise stehe, so die Studienautoren, mit der Clusteranalyse ein Alternativansatz der Statistik bereit, der eine Kovarianz-Matrix durch eine Baumstruktur ersetze. Der Vorteil daran sei: bei gleicher verarbeiteter Informationsmenge benötige die Clusteranalyse weniger Schätzungen und erziele stabilere und robustere Ergebnisse. Das führte einer Studie zufolge zur Erhöhung der Sharpe Ratio um fast ein Drittel gegenüber einem klassischen Ansatz.

Im Rahmen der „klassischen“ modernen Portfolio-Theorie führt auch die Optimierung – etwa die Maximierung einer Sharpe Ratio – schnell zu Problemen. Bartram und Kollegen sprechen zwei bekannte Kritikpunkte an: Erstens sind die optimalen Assetgewichte stark sensitiv gegenüber Variation der Ertrags-Werte. Zweitens erfordert eine Kovarianz-Matrix lange Zeitreihen und die Annahme unveränderter Korrelationen. KI biete, so die Studienautoren, Lösungen für diese Probleme an: Erstens könne sie stabilere Ertrags- und Kovarianz-Schätzungen liefern. Zweitens ermögliche sie, wie oben schon gesagt, alternative Portfolio-Konstruktionsmethoden. Zwar gebe es dazu noch nicht allzu viel belastbare Evidenz, aber das Interesse daran habe stark zugenommen. So gelten etwa Neuronale Netze als aussichtsreiche Kandidaten, weil sie Optimierungsaufgaben auch bei komplexen Nebenbedingungen unter Berücksichtigung verschiedener Zielfunktionen zu lösen imstande sind. Evolutionäre Algorithmen werden gleichfalls als geeignet erachtet. So berichten die Autoren von einer Studie, derzufolge die Integration des Modellrisikos in die Optimierung mit Hilfe evolutionärer Algorithmen die Sharpe Ratio um 10% verbessert habe.  

Neuronale Netze seien auch nützlich für Index-Replikation; so sei es mit diesem Verfahren gelungen, den FTSE 100 Index mit nur sieben Aktien zu reproduzieren, wodurch sich die Kosten und der Arbeitsaufwand deutlich reduziert habe.

 

Wertpapierhandel

Die Studienautoren zerlegen den Handel in drei Phasen, und sehen in jeder davon Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz: a) Vorbereitende Analyse (Prae-trade), Ausführung (Execution) und nachbereitende Analyse (Post-trade).  

Im Fokus von KI steht aber insbesondere der automatisierte bzw. algorithmische Handel, der eine immer wichtigere Rolle spielt. Bartram und Kollegen führen dies neben den bereits oben erwähnten Hardware-Leistungsverbesserungen auf Durchbrüche in der Finanzmathematik und beim Maschinenlernen zurück sowie auf Größen- und Komplexitätszuwächse der Finanzmärkte und Erweiterungen des Produktspektrums.

Algorithmisches Trading beruht überwiegend auf technischer Analyse (traditionell vergangene Preise, Handelsvolumina). In jüngerer Zeit werde auch, so die Autoren, vermehrt auf andere Informationsquellen zurückgegriffen, wie etwa Textnachrichten, bei denen Computerlinguistik (NLP) das KI-Mittel der Wahl ist.

Ein wichtiger Aspekt des Handels insbesondere in der vorbreitenden Analyse ist die Transaktionskostenanalyse in Bezug auf Bid-Ask-Spreads, Handelsprovisionen und den Market Impact, also den Einfluss einer Transaktion auf den Markt-Preis. Zur Schätzung des Market Impact kommt offenbar eine ganze Batterie von KI-Techniken zum Einsatz, so unter anderem: Random Forests, LASSO-Regression sowie Clusteranalyse.

 

Risiko Management

Das dritte wichtige Einsatzgebiet der KI im Rahmen des Asset Managements ist die Risikokontrolle und -prognose. Wie in den anderen Anwendungsfeldern auch, ermöglicht KI bei der Risikomodellierung eine über die bereits vorliegenden quantitativen Daten hinausgehende Nutzung von Informationen, die in Texten oder auch Bildern enthalten sind. Darüber hinaus wird KI zunehmend wichtig für die Validierung und das Backtesting von Risikomodellen. Am weitesten Verwendung findet aber KI wohl gegenwärtig im Bereich der Risikoprognose. Der Einsatz neuronaler Netze (ANN) sei vor allem bei der Vorhersage makroökonomischer Größen wie etwa von Zinsen oder Wechselkursen populär, berichten die Autoren. Zur Analyse systematischer Risikofaktoren finde neben ANN auch die LASSO-Regression Anwendung. Zur Schätzung der zukünftigen Marktvolatilität und für die Vorhersage von Finanzkrisen und die Berechnung von Kreditrisiken werde gerne auf ANN und Support Vector Machines (SVM) zurückgegriffen.

 

Schluss

Im Asset Management haben sich offenbar bereits viele KI-Techniken etabliert oder sie werden als aussichtsreich für den verbreiteten Einsatz erachtet. Bartram und Kollegen führen dies auf drei Schlüsseleigenschaften der Künstlichen Intelligenz zurück: a) Mustererkennung in einem hochdimensionalen Datenraum jenseits menschlicher Wahrnehmung; b) Extraktion von Informationen auch aus „qualitativen“ Text- oder Bild-Quellen; c) häufig Lernfähigkeit.

Jedes KI-Verfahren hat seine spezifischen Einsatzgebiete und seine eigenen Vor- und Nachteile. Die meisten KI-Methoden sind für verschiedene Bereiche im Asset Management geeignet und für fast jeden Bereich gibt es verschiedene KI-Ansätze, die konkurrieren, koexistieren, sich ergänzen oder aufeinander aufbauen. Wo mehrere konkurrierende Konzepte mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen in Frage kommen, wird häufig eine „Ensemble“-Methode angewandt: Man bildet aus den Ergebnissen oder Vorhersagen verschiedener KI-Ansätze Durchschnittswerte. Offenbar führt die Ensemble-Bildung vielfach auch zu besseren Prognosen als die Verfahren einzeln.

Allerdings betonen die Studienautoren auch, dass noch nicht erwiesen sei, dass die neuen KI-Techniken im Vergleich mit klassischen Ansätzen wirklich immer zu besseren Ergebnissen führen. Insbesondere sei das Kosten-Nutzen-Verhältnis eingehender zu untersuchen. Darüber hinaus müsse man damit rechnen, dass manches Alpha, das heute auf Basis einer KI-Anwendung erzielt wird, mit der Zeit durch Arbitrage und Verbreitung der Anwendung verschwinden werde. Aber man kann sich sicher sein, dass der Rüstungswettlauf im Bereich KI damit nicht endet, sondern weiter angetrieben wird.

 

Link zur Studie: Bartram, Branke, Motahari; „Artificial Intelligence in Asset Management“

 

https://www.cfainstitute.org/en/research/foundation/2020/rflr-artificial-intelligence-in-asset-management

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