Nachhaltige Investoren ...
Offizielle Vorstellung der Principles for Responsible Investment (PRI) an der New York Stock Exchange im Jahr 2006.
Quelle: Principles for Responsible Investment (PRI)
Nomen est omen – aber manchmal für das Gegenteil: Neuere Studien zeigen, dass der Name „Nachhaltiges Investieren“ gerade in den USA nicht immer (Vor-)Zeichen für nachhaltiges Investieren ist.
Immer mehr Institutionelle Investoren setzten in den letzten Jahren ihren Namen unter die „Principles for Responsible Investment“ (PRI). Ende 2021 hatten annähernd 4000 Asset Manager mit einem Anlagevolumen in Höhe von 120 Billionen USD diese Selbstverpflichtung unterzeichnet. Allerdings nagt an solchen Manifestationen guter Vorsätze beständig auch der böse Zweifel des Verdachts: Hält die Unterschrift, was sie verspricht, oder ist sie lediglich eine Signatur für „Greenwashing“. Das haben RPI-Unterschriften mit anderen öffentlichkeitswirksamen ESG-Zeichen gemeinsam: Die Möglichkeit, dass sie Nachhaltigkeit nur simulieren. In jüngster Zeit wurde eine Reihe von Studien vorgelegt, die dieser Möglichkeit im Rahmen der ESG-Investments institutioneller Anleger namentlich in den USA nachgehen. Es scheint sich dabei ein Konsens herauszukristallisieren. Demzufolge besteht in nachhaltigen Portfolios der Profianleger in den USA durchschnittlich eine erhebliche Differenz zwischen Schein und Sein der Nachhaltigkeit – die man wohl so in Europa nicht beobachtet. Wir stellen zwei neuere Studien vor, die diesem Phänomen nachgehen.
PRI-Unterschrift und ihre Nachhaltigkeitsfolgen in und außerhalb der USA
Die Finanzwissenschaftler Rajna G. Brandon, Simon Glossner, Philipp Krueger, Pedro Matos und Tom Steffen untersuchten, ob und wie sich die Unterschrift professioneller Asset Manager unter die PRI auf die ESG-Performance der hauseigenen Portfolios auswirkt und ob es in dieser Hinsicht geographische Unterschiede gibt. Zu diesem Zweck nahmen sie die ESG-Ratings von Unternehmen unter die Lupe, deren Aktien in Portfolios der PRI-Unterzeichner vertreten sind, und verglichen sie mit der ESG-Performance der Portfoliounternehmen von Nichtunterzeichnern.
Das Gesamtergebnis entsprach den naiven Erwartungen: Insgesamt konnten die PRI-Unterzeichner mit ihren Anlagen eine besseres ESG-Performance vorweisen als die Nichtunterzeichner. Aber die geographische Betrachtung bestätigte für eine Region den eingangs erwähnten Zweifel: Nur PRI-Unterzeichner, die aus Europa und Asien kamen, punkteten mit besseren ESG-Werte. Bei den Profianlagern, die in den USA logieren, war dies nicht der Fall: Portfolios der PRI-Unterzeichner waren in den USA im Durchschnitt zumindest nicht nachhaltiger als die der Nichtunterzeichner.
Die Studie quantifiziert die Befunde auch, wobei die ESG-Differenzen zwischen verschiedenen Investoren-Gruppen u.a. in Prozent der Standardabweichung bzw. „standard deviation“ angegeben wird (im Folgenden kurz: %SD).
In Europa und Asien hatte die Gruppe der PRI-Unterzeichner eine um 13%SD höhere ESG-Bewertung als die Gruppe der Nichtunterzeichner. In den USA ergab sich hingegen, wie gesagt, kein signifikanter Unterschied.
Auch bei der Gruppe der Investoren, welche die PRI frisch unterzeichnet hatten, zeigten sich weltregionale Unterschiede. Kamen die Neuunterzeichner nicht aus den USA, erhöhte sich in der Folgezeit nach der Signatur das ESG-Rating der Portfolios um 14%SD; in den USA waren demgegenüber keine signifikanten Verbesserungen festzustellen.
Um eine höhere Auflösung zu erhalten, untergliederten die Studienautoren die PRI-Unterzeichner in drei Gruppen: Gruppe A bestand aus Vermögensverwaltungen, die ESG-Kriterien nach Eigenangaben zu 100 Prozent in ihren Anlageprozess integrieren. Gruppe B umfasste Investoren, die eine ESG-Integration nur teilweise durchführen. Gruppe C bildeten Asset Manager, die entweder keine Angaben über diesen Punkt machten oder keinerlei ESG-Integration praktizieren – obwohl dies im Widerspruch zu den PRI steht.
Hervorzuheben sind für den Vergleich USA vs. Europa/Asien innerhalb dieser Gruppen insbesondere zwei Ergebnisse: In Gruppe A schnitten die PRI-Unterzeichner aus Europa und Asien 17%SD besser ab als die Nichtunterzeichner der PRI – in den USA schnitten beide gleich ab. Und in Gruppe C hatten PRI-Unterzeichner aus den USA ein geringeres ESG-Rating als Nichtunterzeichner, während außerhalb der USA Gleichstand war. Die PRI-Unterzeichner aus den USA investierten also in Gruppe C antinachhaltig, als ob sie Sin-Stocks übergewichtet hätten, als ob sie Teil von jener Kraft wären, die stets das „Gute“ will und stets das „Böse“ schafft – um einen längst vergessenen deutschen Dichter zu variieren.
Auch das Shareholder-Engagement der US-PRI-Unterzeichner war geringer als das ihrer europäischen oder asiatischen Kollegen. Und US-Investoren mit Engagement konnten in den Folgejahren ihre ESG-Performance nicht verbessern. Beides spricht gegen die theoretische Möglichkeit, dass in den USA PRI-Unterzeichner bevorzugt in Unternehmen mit niedrigen ESG-Werten investieren, um durch Shareholder-Engagement deren ESG-Bilanz zu verbessern.
Brandon et al. bevorzugen stattdessen eine andere Erklärung. Sie fanden, dass vier Merkmale unter PRI-Unterzeichnern der Gruppe C in den USA gehäuft auftraten: a) unterdurchschnittliche Performance in den Vorjahren; b) Kundenfokus auf Privatanleger, die weniger ESG-Kenntnisse haben als Profis; c) negative ESG-Vorfälle im eigenen Unternehmen (arbeitsrechtlicher Art usw.); d) späte Unterzeichnung der PRI. Die Studienautoren vermuten, dass insbesondere Vermögensverwaltungen der Gruppe C auf diese Negativ-Ereignisse und drohende Reputationsverluste mit kompensierendem Greenwashing reagieren.
Darüber hinaus führen sie drei systemische, alle Gruppen (A,B,C) betreffende Gründe dafür an, dass in den USA eine PRI-Signatur ein weniger verlässliches Hinweisschild für verantwortliches Investieren ist als etwa in Europa. Erstens: In den USA sind kommerzielle Motive wichtiger für eine PRI-Unterschrift als z.B. in Europa. Denn nach Unterzeichnung der PRI erhöhte sich bei US-Investoren der Zufluss von Kundengeldern um 9%SD. Außerhalb der USA war das nicht der Fall. Daher eigne sich die PRI-Signatur in den USA dazu, durch schwache vergangene Performance verlorenen Boden wieder gut zu machen. Zweitens: In den USA seien die regulatorischen Unsicherheiten im Spannungsfeld zwischen nachhaltiger Geldanlage und treuhänderischen Pflichten deutlich größer als in europäischen Ländern. Drittens: in den USA bildete sich der Markt für nachhaltige Geldanlagen später aus als in Europa. Die Autoren rechnen damit, dass mit größerer Marktreife ein stärkerer Kontrolldruck entsteht, der die Differenz von Schein und Sein verringert.
ESG-Fonds in den USA und die Nachhaltigkeitsfolgen
Die ESG-Performance von ESG-Publikums-Fonds in den USA ist der Forschungsgegenstand einer Studie von Aneesh Raghunandan von der London School of Economics und Shiva Rajgpal von der Columbia Business School. Sie fragten, ob ESG-Fonds in den USA Stakeholder-freundlicher sind als Fonds ohne ESG-Anspruch. Mit Stakeholder-freundlich ist hier die tatsächlich realisierte Nachhaltigkeit in Unternehmen gemeint, in deren Aktien die Fonds investiert sind. Diese Stakeholder-Nachhaltigkeit umfasst vor allem S- und E-Kriterien, primär Fehlverhalten der Portfolio-Unternehmen. Insbesondere ging es dabei um Verstöße gegen Arbeits-, Kunden- oder Konsumenten-Rechte (S) sowie gegen Umweltgesetze (E). Darüber hinaus berücksichtigten die beiden Forscher Kohlendioxid-Emissionen (E) und Aspekte der Unternehmensführung (G).
Die manifeste Nachhaltigkeit der ESG-Fonds erfassen die beiden Forscher anhand des Morningstar-Nachhaltigkeits-Ratings. Dieses beruht auf Eigenangaben der Fonds.
Einbezogen wurden in die Studie 147 ESG-Fonds von 74 Asset Managern, die ihr Domizil in den USA haben. Die Fonds-Betreiber verwalteten sowohl ESG- wie auch Nicht-ESG-Fonds. Das ermöglicht einen verzerrungsfreien Vergleich der „wahren“ Nachhaltigkeit von ESG-Fonds und von Nicht-ESG-Fonds vom selben Assetmanager im selben Jahr.
Die Untersuchungsergebnisse waren für die ESG-Fonds nicht gerade schmeichelhaft. Ihre „wahre“ Nachhaltigkeit war in den meisten Vergleichsdimensionen nicht besser als die der Nicht-ESG-Fonds. Portfolio-Unternehmen der ESG-Fonds hatten sogar häufiger gegen Arbeits- und Umweltrechte verstoßen als die der Nicht-ESG-Fonds und mussten auch mehr und höhere Strafen dafür bezahlen. Damit nicht genug; die ESG-Fonds schnitten auch bei Kohlendioxid-Emissionen schlechter ab als Nicht-ESG-Fonds.
Demzufolge überschätzen die ESG-Bewertungen von Morningstar die tatsächliche Nachhaltigkeit der ESG-Fonds. Das könnte man auf bewusstes Greenwashing zurückführen, zumal – wie gesagt – das Morningstar-Rating auf Eigenangaben der Fonds aufbaut. Aber die Studie nennt für die Überschätzung noch einen anderen Grund: unzulängliches ESG-Rating der einzelnen Portfolio-Unternehmen. Die beiden Finanzwissenschaftler stellten zunächst fest, dass die ESG-Fonds mehr Portfolio-Unternehmen mit überdurchschnittlichen ESG-Bewertungen enthielten als die Nicht-ESG-Fonds. Das ESG-Rating dieser Unternehmen führen externe Anbieter durch, nicht die Fondsanbieter selber. Das lässt eine höhere Nachhaltigkeits-Bewertung der ESG-Fonds als gerechtfertigt erscheinen. Aber nun kommt der Clou: Die Studienautoren fanden, im Einklang mit anderen Untersuchungen, zwei eigentümliche Zusammenhänge. Die ESG-Ratings der Portfolio-Unternehmen korrelierten mit dem Umfang der freiwillig vorgelegten Offenlegungs-Mitteilungen und der Anzahl der Nachhaltigkeitsmeldungen positiv. Also mit Form-Merkmalen. Sie korrelierten aber nicht mit den Inhalten dieser Veröffentlichungen, um die es ja eigentlich gehen sollte. Wenn aber die Inhalte tendenziell missachtet werden, kann ein ESG-Rating die „wahre“ Nachhaltigkeit nicht erfassen. Raghunandan und Rajgopal sehen darin einen Hauptgrund für die beobachtete Diskrepanz zwischen den ESG-Ratings der Unternehmen bzw. der ESG-Fonds und der „wahren“ Stakeholder-Nachhaltigkeit, welche sie selber ermittelten.
Sie zeigten zudem, dass in ESG-Fonds die Aktienrenditen geringer waren als in Nicht-ESG-Fonds, dass Erstere aber höhere Verwaltungsgebühren berechneten. Die beiden Wissenschaftler halten die Erklärung für plausibel, dass ESG-Fonds – wie in Medien und auch von Insidern häufig kolportiert – für Asset Manager zumindest in den USA häufig bloß geeignete Vehikel sind, um höhere Fondsgebühren zu verlangen.
Schluss
Die zuerst besprochene Untersuchung erhärtet den auch von anderen Studien gestützten Forschungsbefund, dass in den USA nachhaltige Geldanlagen institutioneller Investoren mit größerer Wahrscheinlichkeit unter das Verdikt des Greenwashings fallen als etwa in Europa. Gründe dafür sind systemische Faktoren, aber auch eher idiosynkratische, indem Asset Manager unter Druck die systemischen Spielräume nutzen.
In der zweiten Studie, die sich auf die USA und Publikumsfonds beschränkt, wird u.a. das ESG-Rating kritisch hinterfragt. Es zeigte sich, dass in den USA die tatsächlich realisierte Nachhaltigkeit von ESG-Fonds im Durchschnitt hinter dem manifesten ESG-Rating zurückbleibt und auch nicht besser ausfällt als bei Non-ESG-Fonds. Hier spricht ebenfalls vieles für verbreitetes Greenwashing. Eine Frage bleibt aber in Bezug auf die zweite Studie offen: Würde sich beim gewählten Untersuchungsdesign nach Einbezug europäischer ESG-Fonds der für institutionelle Anleger dieser Region relativ günstige Eindruck der ersten Studie bestätigten?
Link zu Studie 1: Rajna Gibson Brandon; Simon Glossner; Philipp Krueger; Pedro Matos; Tom Steffen; “Do Responsible Investors Invest Responsibly?”
Link zu Studie 2: Aneesh Raghunandan; Shiva Rajgopal: “Do ESG funds make stakeholder-friendly investments?”