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Narzissmus und soziale Homophilie

Lutz Siebentag -

Ist die Performance narzisstischer Fondsmanager besser oder schlechter? Wie wirkt sich die Affinität von Menschen mit ähnlichen Merkmalen – soziale Homophilie – auf die Kreditvergabe auf Online-Plattformen aus? Zwei neue Studien geben Auskunft. Von Lutz Siebentag

 

Im März 2022 sind zwei Studien zweier Autorengruppen um den Marburger Behavioral-Finance-Professor Oskar Stolper veröffentlicht worden, bei denen es, kryptisch verkürzt, um die Finanzmarktwirkungen von Beziehungen zu Ähnlichem ging – um Narzissmus und soziale Homophilie. Narzissmus ist primär eine Beziehung, bei der ein Selbst den Glauben genießt, seinem grandiosen Selbstbild maximal ähnlich, nämlich gleich zu sein. Soziale Homophilie ist die Neigung, in sozialen Beziehungen Personen zu präferieren, die einem aufgrund bestimmter Merkmale ähnlich erscheinen. Das eine Forscherteam untersuchte den Einfluss des Fondsmanager-Narzissmus auf die risikoadjustierte Rendite und die Konsistenz der Anlagestrategie. Die andere Gruppe befasste sich mit dem Einfluss sozialstruktureller Ähnlichkeit auf Parameter der Kreditvergabe auf Online-Plattformen.

 

Narzissmus und Fondsmanager

Studien zu narzisstischen Managern sorgten in der Vergangenheit immer wieder für größere Schlagzeilen. Während also zum Narzissmus von Wirtschaftsführern zahlreiche Studien vorliegen, haben Scheld, Stolper und Bauer erstmals die Gruppe der Manager von Publikumsfonds unter die Lupe genommen. Aufbauend auf bisherigen Forschungsergebnissen formulieren und prüfen die Autoren zwei Hypothesen.

Hypothese Nr. 1 besagt: Hochgradig narzisstische Fondsmanager überschätzen ihre Erfolgschancen bei der Geldanlage und wählen eher Investments, die von Kollegen mit weniger narzisstischen Dispositionen als sehr riskant eingeschätzt werden. Im Endeffekt sollte dies bei Fonds zu geringeren risikoadjustierten Renditen führen.

Hypothese Nr. 2 lautet: Hochgradige Narzissten haben Schwierigkeiten, sich an Regeln zu halten. Demzufolge sollten supernarzisstische Fondsmanager häufiger vom offiziell verkündeten Risikoprofil und Investmentstil abweichen. Sie würden also weniger regelbasiert und mehr regelbruchbasiert operieren. Dieser Effekt sollte sich in höherer Stil-Inkonsistenz niederschlagen.

Die empirische Prüfung der beiden Hypothesen erbrachte nun folgende Ergebnisse:

Erstens: Der durchschnittliche Narzissmus von Fondsmanagern war in der Studie fast doppelt so hoch wie der von Unternehmenschefs (CEO) in früheren Studien.

Zweitens: Stark narzisstische Fondsmanager wichen um 35% häufiger von der offiziell vorgegebenen Linie eines Fonds ab als weniger narzisstische Kollegen.

Drittens: Narzissmus wirkte sich auf die risikoadjustierte Performance negativ aus. Die Performance hochgradig narzisstischer Fondsmanager lag 1 Prozent unter dem der „normalnarzisstischen“ Peergroup.

Viertens: Wurden supernarzisstische Fondsmanager in Teams integriert, dann minderte sich ihr Einfluss auf die Stil-Inkonsistenz deutlich. Bei Teams mit mindestens einem Supernarzissten war die Wahrscheinlichkeit der Stil-Inkonsistenz nur 7 Prozent höher als in Normalgruppen. Allerdings blieb die narzissmusbedingte Performanceeinbuße weitgehend erhalten.

Fünftens: der Einfluss narzisstischer Fondsmanager erklärt auch, weshalb stil-inkonsistente Fonds eher dazu tendieren, riskante Wetten auf Wachstums- und Small-Cap-Titel abzuschließen.

 

Soziale Homophilie

Die Neigung, mit im Hinblick auf bestimmte Merkmale Ähnlichen eher eine soziale Beziehung einzugehen, wird als soziale Homophilie bezeichnet. Czaja, Ritter und Stolper sind nun der Frage nachgegangen, ob soziale Homophilie auch in der Online-Welt der Kreditplattformen zu beobachten ist und, wenn ja, welche Auswirkungen dies hat.

Zur Definition von Ähnlichkeit und zur Markierung von Gruppen kann im Prinzip jedes denkbare Merkmal genutzt werden. Es muss nur akzeptiert werden. Für die Studienautoren stellte sich also die Frage, welche Merkmale in ihrem Fall wirksam sind und welche sie beobachten können. Sie verwendeten drei Merkmale zur Ermittlung des Ähnlichkeitsgrades, die sie aus den ihnen vorliegenden Daten leicht entnehmen konnten: Geschlecht, Alter und regionale Zugehörigkeit (zu einem Bundesland). Somit ergaben sich vier Ähnlichkeitsstufen (0,1,2,3).

Die Autoren fanden nun, dass soziale Homophilie auch auf einer großen Online-Plattform zur Kreditvergabe wirksam ist und sich in ökonomischen Größen niederschlägt. Mit jeder Stufe weiter oben auf der Ähnlichkeitstreppe erhöhte sich in der Studie die Bereitschaft, eine Kreditanfrage anzunehmen, um 12 Prozent. Und mit jeder Stufe höher wuchs auch der bereitgestellte Investitionsbetrag um rund 8 Prozent.

Die Studie fand gleichfalls einen negativen Zusammenhang zwischen dem vereinbarten Kreditzins und der Ähnlichkeit – d.h. die Zinsen waren umso niedriger, je höher der Ähnlichkeitsgrad war. Den Rezensenten überraschte allerdings die Ansicht der Studienautoren, dass dieser Zusammenhang kontraintuitiv sei. Denn seine Intuition sagt ihm, dass Zinsen im Binnengruppen-Verhältnis Ähnlicher geringer ausfallen sollten als im Zwischengruppen-Verhältnis Unähnlicher. Dafür sprechen Theorien wie auch historische Beispiele; auch legen Ergebnisse der jüngeren experimentellen Gerechtigkeitsforschung eine solche Reaktion nahe. Zu einem ähnlichen Schluss kommen dann allerdings auch die Studienautoren. Eine ökonomisch rationale Erklärung in Gestalt „solidaritätsvermittelter“ Informationsvorteile fällt im empirischen Test durch, sie gehen deshalb von homophiliebedingten Vertrauenseffekten aus.

 

 

 

Dem Menschen ist es zwar nicht möglich, keine Beziehung zu sich selber einzugehen. Viele Ausprägungen von Selbstbeziehung galten oder gelten jedoch als verrucht, weil sie den jeweils vorherrschenden sozialen Normen widersprechen. Eine der schillerndsten Selbstbeziehungen ist der Narzissmus. Das Bild „Narciso“ von Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) zeigt uns jedoch: Narcissus geht kein reines Selbstverhältnis ein, vielmehr handelt es sich um das Verhältnis seines Selbst zu einem Spiegelbild seiner selber. Aber ist Narciso deshalb schon moderner Narzisst? Nein. Denn Letzterer schaut als Mensch mit abgöttischem Wohlgenuss in einen Spiegel hinein, aus dem ihm – anders als bei Caravaggio – etwas Gottähnliches entgegenschaut. Der Narzisst verwechselt unter tätiger Mithilfe vieler Spiegelhalter mit größter Wonne seinen Grandiositätswunsch mit seinem Selbst. Insofern würde es sich bei Narzissmus um eine unerkannte affektive Beziehung des Selbst zu einem Anderen handeln.    

Menschen bauen aber bekanntlich auch Beziehungen zu Anderen auf, die sie als solche erkennen. Der Mitbegründer der Soziologie Émile Durkheim (1858-1917) wie auch der Alltag lehren, dass soziale Beziehungen auf Basis von Unähnlichkeiten oder von Ähnlichkeiten gestiftet werden können. Die Affinität zu ähnlichen Anderen – soziale Homophilie genannt – scheint Folge der Bevorzugung seiner selbst im Anderen zu sein. Insofern würde es sich bei einer affinen Beziehung zu einem Anderen um eine unerkannte Beziehung zu sich selber handeln.

 

 

Links zu den Studien

 

Studie 1: D. Scheld, O.A. Stolper, A.-L. Bauer (2022) Fund Manager Narcissism

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4049786

 

Studie 2: D. Czaja, P. Ritter, O.A. Stolper (2022) Among Peers: The Impact of Homophily in Online Investment

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4051944

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