VV-Kolumne: Psyche

Warum wir uns an höhere Zinsen gewöhnen sollten

Kolumnist -

Von Georgios Passameras, Portfoliomanager bei der GAP Vermögensverwaltung GmbH in Köln

Der Ankereffekt, auch „Anchoring Bias“, beschreibt unsere Tendenz, sich bei Entscheidungen an bestimmten Referenzwerten zu orientieren. Diese Referenzwerte sind der Ausgangspunkt für Vergleiche und beeinflussen unsere Entscheidungen. Ein alltägliches Beispiel ist das Ausweisen einer sehr hohen unverbindlichen Preisempfehlung (Ankerwert), um Kunden hohe Rabatten zu suggerieren.

New Normal als Ankerfalle

Ein aktuelles Beispiel im Bereich der Geldanlage ist das Niedrigzinsniveau der vergangenen zehn Jahre. Zinsen um null Prozent wurden als normal angesehen. Dieses zwischenzeitlich als „New Normal“ bezeichnete Niveau ist für viele Investoren der neue Ankerwert. Als die Zentralbanken die Zinsen in der jüngsten Vergangenheit anhoben, empfanden viele Anleger das neue Niveau als sehr hoch und verkauften aus Sorge ihre Aktien. Dabei ist ein allgemeines Zinsniveau von drei bis fünf Prozent im langfristigen Vergleich völlig normal und nicht einmal überdurchschnittlich. Die Konsequenzen für die Konjunktur waren belastend, doch die von vielen erwartete schwere Rezession blieb aus.

Noch heute halten einige Anleger das alte Niedrigzinsniveau für das normale Niveau und hoffen, dass die Zinsen dahin zurückzukehren. Das birgt erhebliches Enttäuschungspotenzial. Denn eine Rückkehr zu Nullzinsen ist unwahrscheinlich. Der alte Referenzwert ist in Anbetracht der veränderten makroökonomischer Bedingungen wie der hohen Inflation veraltet. Die Erwartungen an die zukünftige Entwicklung sollten stattdessen in den makroökonomischen Kontext gesetzt werden.

Was heißt das für Investoren?

Nachdem der Ankereffekt bei den Zinssteigerungen für Aktienverkäufe gesorgt hat, könnte er nun dazu führen, dass die Erwartungen zu hoch sind. Enttäuschungen werden dadurch wahrscheinlicher.

Anleger sollten ihre Positionierung nicht ausschließlich auf eine Rückkehr zum Niedrigzins konzentrieren. Ein großer Teil der Zinssenkungen ist ohnehin bereits eingepreist. Investoren sollten vielmehr abwägen, ob die potenzielle Mehrrendite hoher Durationsrisiken das Risiko für Rückschläge bei Enttäuschungen wert ist.

In den letzten Monaten ließ sich wieder ein erhöhter Risikoappetit der Anleger beobachten, was sich auch in der Entwicklung von Kryptowährungen und anderen spekulativen Anlageklassen zeigte. Sollten die Zinsen letztendlich höher bleiben als erwartet, bestehen hier vermehrt Risiken für Korrekturen.

Anstelle einer übermäßigen Gewichtung vermeintlicher Wachstumsunternehmen ohne wirkliche Profitabilität oder anderen spekulativen Anlageklassen sollten profitable Unternehmen mit bestehenden Cashflows nicht im Portfolio fehlen. Für deren Aktien spielt das kurzfristige hoch und runter der Zinsen langfristig eine untergeordnete Rolle.

Diesen und weitere Vermögensverwalter mit Ihren Meinungen und Online-Anlagestrategien finden Sie auf https://www.v-check.de/

Zurück