Wagniskapital und saubere Technologien

Weisheit der Bubble

Redaktion -

Über Wagniskapital und Saubere Technologie und wie spekulative Blasen einer Technologie unbeabsichtigt zum Durchbruch verhelfen können.

Bedingungen für Venture Capital und Cleantech

Die Genese einer sauberen Technologie (Transport, Wasser, Material, vor allem Energie) kann man schematisch in vier Stadien einteilen: Erstens Forschungsphase; zweitens Entwicklungsphase; drittens Umsetzung in industrielle Fertigung und Höherskalierung; viertens Markteinführung und -durchsetzung.

Diesem Phasen-Schema können typische Finanzierungsformen zugeordnet werden: staatliche Finanzierung erfolgt überwiegend in Phase 1. Venture Capital und Private Equity treten in der späten Phase 1, der Phase 2 und der frühen Phase 3 auf den Plan. Public Equity sowie Mergers & Acquisitions sind typisch für die Phasen 3 und 4. Und Kreditmärkte stellen in Phase 4 Kapital zur Verfügung.

Wir beschränken uns im Folgenden auf Venture Capital (VC). Wagniskapitalisten wollen mit einer zeitlich beschränkten Investition in Start Ups sehr hohe Renditen erzielen. Das setzt u.a. voraus: Skalierbarkeit der Technologie; starkes Marktwachstums; Möglichkeit eines schnellen Exits. Diese Bedingungen waren im IT-Bereich in den 90er Jahren gegeben. Daran orientierten sich viele Wagniskapitalisten in den USA nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Im Cleantech-Bereich vermuteten sie ein um Größenordnungen höheres Marktpotential und noch bessere Gewinnchancen als im IT-Bereich. Viele stiegen mit ihren VC-Investitionen nun um von „Information“ auf „Energie“. Spätestens nach dem Platzen der Cleantech-Blase 2008 rückten jedoch die Unterschiede zwischen Cleantech und anderen Technologien (wie IT oder Biotech), die typischerweise über VC investiert wurden, in den Fokus. In der Literatur genannt wurden unter anderem folgende Differenzen:

Erstens: Cleantech hat eine Öffentliche-Gut-Komponente, deshalb könne der Markt allein die erforderlichen Finanzierungsmittel nicht bereitstellen.

Zweitens: Im Cleantech-Bereich sei es viel schwieriger, Wachstumschancen, Risiken und Erträge abzuschätzen.

Drittens: Energieproduktions-Technologien erforderten hohe Entwicklungskosten und seien sehr kapitalintensiv, die Eintrittshürden seien in der Regel sehr hoch.

Viertens: Risiken im Hinblick auf technische Funktionen, Skalierbarkeit und Exitmöglichkeiten seien deutlich höher als in anderen Technologie-Bereichen.

Fünftens: Große Unternehmen der Energiebranche seien – anders als im Biotech-Bereich – lange Zeit an Cleantech Start Ups nicht interessiert gewesen.

Sechstens: Im Vergleich mit IT seien Netzwerkeffekte wie auch (damit verbundene) The-Winner-Takes-It-All-Chancen viel geringer.

Siebtens: Die Produktdifferenzierung sei im Cleantech-Bereich geringer, das mindere die Chancen für höhere Erträge. Insgesamt seien die Erträge deutlich geringer als Wagniskapitalisten aufgrund ihrer Erfahrungen im IT-Bereich erwarteten.

Die Frage ist dann: was motivierte VC-Investoren dennoch dazu, in den 00er Jahren massiv in Clean Tech zu investieren. Die Kurzantwort lautet: In Unkenntnis der genannten Differenzen bildeten sie inadäquat optimistische Erwartungen vor allem über die Gewinnchancen. Darauf gehen wir weiter unten noch ein wenig näher ein.

Studien (z.B. Cumming, Henriques und Sadorksy; ‚Cleantech‘ Venture capital around the world, 2015), nennen verschiedene generelle Faktoren, die eine erhöhte Cleantech-Aktivität von VC-Investoren erklären können: Steigender Ölpreis (aber mit abnehmender Stärke). Größere Nachhaltigkeitsorientierung in einem Land und hohe mediale Präsenz von Klimawandel (Gefahr) und Cleantech (Rettung). Ambitionierte Umweltpolitik und Institutionalisierung einschlägiger Regulierungen sowie deren Stringenz. Höhere staatliche Subventionen, die es wahrscheinlicher machen, dass Start Ups das sogenannte Tal des Todes durchschreiten, ohne finanziell zu verdursten.

Ein erheblicher Teil dieser generellen Faktoren ist offenbar auf Unterschiede in staatlicher Politik, Massenkommunikation und ideologischen Dispositionen in einzelnen Ländern zurückzuführen.

Cleantech Blase

Vincent Giorgis, Tobias Huber und Didier Sornette („Salvation and Profit“; 2022) erklären die Cleantech-Blase der 00er-Jahre formal und inhaltlich. Wie bereits erwähnt: Nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 suchten VC-Investoren nach Anlagemöglichkeiten und sahen im Cleantech-Bereich eine Chance, noch größere Gewinne zu erzielen als im IT-Bereich. So investierte etwa der mit Zahlungsdienstleistungen schwervermögend gewordene Elon Musk 96 Mio. USD in das 2003 von Martin Eberhard und Marc Tarpenning gegründete Start Up Tesla Motors. Darüber hinaus waren die gesellschaftlichen Randbedingungen für einen Cleantech-Hype günstig. Der anthropogene Klimawandel rückte im imitationsstrategisch wichtigsten Land der Erde, den USA, stärker als je zuvor in den Aufmerksamkeitsfokus von Öffentlichkeit und Politik. Auslöser und Verstärker waren u.a. Extremwetterereignisse, so etwa der Hurrikan Katrina (2005), dessen zerstörerische Kraft in der Öffentlichkeit vielfach als Folge des Klimawandels interpretiert wurde. Da im Rahmen dieser Katastrophe auch viele Ölplattformen zerstört worden waren, stieg zugleich der Ölpreis und auch die Erwartungen sahen in zukünftig hoch. Ein Dokumentarfilm von Al Gore zum Klimawandel (2006) fand große Publikumsresonanz weltweit, nicht zuletzt dafür wurde ihm zusammen mit dem IPCC, dem Intergovernmental Panel on Climate Change, im Jahr 2007 der Friedensnobelpreis verliehen. Die US-Regierung investierte nun auch massiv in Cleantech-Forschung und legte Subventionsprogramme auf. Dieses begünstigende Umfeld begeisterte Venture-Kapitalisten und andere Anleger für saubere Technologie. Am Cleantech-Aktienmarkt baute sich infolge dessen ab Mitte der 00er Jahre eine Blase auf, die mit der 2008 einsetzenden Finanzkrise kollabierte.

Giorgis, Huber und Sornette wenden darauf ihre formale Theorie der Prognostizierbarkeit von Blasen an. Blasen müssen drei Kriterien erfüllen: a) superexponentielles Kurswachstum (d.h. wachsende Wachstumsrate); b) der Kurs strebt in endlicher Zeit gegen unendlich (Singularität); c) Vergrößerte Amplitude der Niederfrequenz-Volatilität. Der an den Aktienpreisen ablesbare Cleantech-Boom zwischen 2004 und 2008 erfüllte alle drei Blasen-Kriterien. Da eine Blase dieser Art inhärent instabil ist, benötigte sie nur noch Auslöser, um zu kollabieren, und das war 2008 der Fall. Nun wurde auch vielen Wagniskapitalisten klar, dass sich ihre Erwartungen im Hinblick auf Marktwachstum, Exitmöglichkeiten und exorbitante Erträge nicht erfüllen würden.

Für inhaltliche Erklärung der komplexen positiven Rückkopplungen, die eine Blase nähern, rekurrieren die Autoren auf die Social-Bubble-Hypothese. Derzufolge sind soziale Prozesse, auch sehr einfache wie Imitation und Herdenverhalten, wichtige Faktoren der Blasenbildung. Giorgis, Huber und Sornette heben in diesem Zusammenhang aber insbesondere die „narrative“ Komponente hervor. Es handelt sich dabei um den „erzählerisch-rhetorischen“ Kern der extrem optimistischen Gewinnerwartungen der Wagniskapitalisten, der auch andere Investoren und Anleger mitriss und sich auch am Aktienmarkt bemerkbar machte. Es handelte sich um eine moralisch und emotional hochgradig geladene dramatische Geschichte vom Typus „Salvation and Profit“, die in etwa lautete: Die Menschheit steht vor einer Klimakatastrophe und nur die Rettung durch Cleantech wird sie davor bewahren. Zugleich werde aber diese Rettung Wagniskapitalisten immense Profite bescheren. Diese Erzählung habe immense Erwartungen geschürt. Mit dem Platzen der Cleantech-Blase 2008 kollabierte die Profitkomponente dieser Geschichte und wich einer realistischeren Einschätzung der finanziellen Chancen.

Weisheit der Cleantech-Blase

War das Platzen der Cleantech-Blase am Aktienmarkt und der Träume der Wagniskapitalisten und anderer Anleger im Jahr 2008 ein Desaster für die neuen Sauberen Technologien? Nein sagen Giorgis, Huber und Sornette, langfristig sei das Gegenteil der Fall, es war eher ein „Segen“. Die Blase habe durch Aufbau entsprechender Erwartungen im Cleantech-Segment geholfen, Kapital in einem Umfang in diverse Energiesegmente zu lenken, der bei (retrospektiv betrachtet) realistischer Kalkulation viel geringer gewesen wäre. Dadurch entstanden aber Cleantech-Strukturen, an die später angeknüpft werden konnte. Die Cleantech-Blase hatte demzufolge die Funktion eines Katalysators für saubere Technologien, sie war eine Art Durchbruchs-Blase.  

Die Cleantech-Blase der Erwartungen in den 00er Jahren wurde auch durch (intendierte) staatliche Finanzierung befeuert. Ohne überoptimistische Erwartungen der Investoren wären aber deutlich höhere staatliche Finanzmittel erforderlich gewesen, um den gleichen Effekt zu erzielen, wie es der Durchbruchs-Blase gelang. Insofern bewirkte die Erwartungs-Blase eine Art von (nichtintendierten) privaten „Subventionen“. Wagniskapitalisten substituierten den Staat aufgrund irrtümlicher Erwartungen. Man könnte also sagen: Die vorhandene implizite Weisheit der Blase hat hier die fehlende explizite Weisheit des Staates eine Zeitlang vertreten – wenn man dieser Blasen-Interpretation folgt.

Gegenwärtiger Cleantech Boom – Blasengefahr?

Giorgis, Huber und Sornette vergleichen den derzeitigen Cleantech-Boom mit dem von 2004 bis 2008. Schon rein formal sind die Blasen-Kriterien nicht erfüllt. Eine inhaltliche Differenz kann man am oben angeführten Phasenmodell verdeutlichen. Wichtige Cleantech-Segmente sind nun bereits in andere Stadien vorgerückt. Damit haben sich auch die in Frage kommenden Finanzierungformen verändert. Die Blase habe, so Giorgis et al., vor allem durch Finanzierung von Forschung und Entwicklung (also oben: Phasen 1 und 2) technologische Durchbrüche ermöglicht. Technologien zur Energienutzung von Sonne und Wind haben sich aber im Phasenmodell weiterbewegt, was sich auch in massiven Kostensenkungen ausdrückt. So sei bei Solarmodulen oder Lithium-Batterien der Preisrückgang exponentiell. Zugleich sei das (Investoren-)Risiko bei diesen Technologien stark zurückgegangen. Auch interessierten sich nun große Unternehmen für Start Ups und Mergers & Aquisitions seien zahlreich geworden. Für Wagniskapitalisten hätten sich außerdem die Exitmöglichkeiten verbessert. Während jedoch in den kapitalintensiven Cleantech-Bereichen nun vermehrt große Investoren aus Private Equity anzutreffen seien, würden Wagniskapitalisten nun häufiger eher spezialisiertere Sektoren mit geringeren Kosten bevorzugen. Insgesamt sei die gesellschaftliche, politische, institutionelle, ideologisch-normative, programmatische und auch die finanzielle Basis für Cleantech weit umfassender und stabiler geworden.  

Link zur Studie: ‘Salvation and profit’: deconstructing the clean-tech bubble

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